Die Ackerhelden vom Erdvogel in Wald im Zürich Oberland

Liebe Chantal, kommst du gerade vom Acker auf dem Tonacher, wo euer Gemeinschaftsgarten ist? Vor einem Jahr, im November 2019 habt ihr den Verein «ErdVogel» gegründet. Eins eurer Ziele ist «Zusammen Sein. Zusammen Tun.» Was meist du, ist euch ein Jahr später das rückblickend gelungen?

Chantal Marty, Feuervogel-Naturpädagogin, Kindergärtnerin, Spielgruppenleiterin und Lagerleiterin

Chantal Marty: Ja, es ist wirklich phantastisch, wie sehr sich das alles, dieser Traum, den wir im letzten November ausgesprochen haben, im Laufe dieses Jahres verwirklicht hat. Es ist ein sehr inniges Zusammen Sein, Zusammen Tun entstanden. Der Garten ist ein wahres Gemeinschaftswerk, mit bewusst sehr wenigen vorgegebenen Strukturen, so dass die Erdvogelmenschen sich in einem natürlichen Fluss gemeinsam entfalten können. Es gibt zum Beispiel, was das gärtnern betrifft, keine Hierarchie. Es gibt auch keinen persönlichen Besitz. Alles, was in den Garten getragen wird, alles, was dort kultiviert wird, gehört allen. Eigentlich müsste man sogar sagen, es gehört Mutter Erde, und wir nutzen es dankbar mit. Wir haben etwa 95 Beete, und alle sind für alle verantwortlich. Es gibt keine Zuteilungen. Es gibt keine fixe Ernteaufteilung. Jeder nimmt, was er fühlt, dass ihm zusteht. Es gibt keine fixe Anforderung an wieviel jeder dort arbeiten und helfen soll. Jeder gibt, was er möchte und kann. Es gibt keine fixe Idee, was alles als Arbeit zählt. Nicht nur gärtnern ist Erdvogelarbeit: Auch ein Auge auf die Kinderschar zu halten, zu musizieren, mitzudenken, zu kochen oder einfach den Raum zu halten, alles zählt mit. Und da liegt der fliessende Übergang zwischen dem Zusammen Tun und dem Zusammen Sein.

Eure Oase, an der sich die Gemeinschaft trifft, wie sieht ein ErdVogel-Wochenende aus. Kannst du das beschreiben?

An einem Wochenende im Sommerhalbjahr, ist es manchmal wie im Bienenhaus. Es ist ein Kommen und Gehen. Mal sind nur zwei bis drei Menschen dort, dann plötzlich zwölf. Einige jäten, einige pflanzen aus, jemand macht ein Feuer, jemand kocht. Am Abend, gibt es manchmal nochmals ein Feuer. Die Leute haben kulinarische Kostbarkeiten von zuhause mitgebracht und es gibt ein reichhaltiges Teilete-Buffet. Es wird dankbar und voller Freude über das kleine Paradies am Feuer gequatscht, gegessen, getrunken, getrommelt, musiziert, philosophiert, gelacht. Bis die Sonne am Horizont oder die Müdigkeit der Kinder dem Treiben ein Ende setzen, und die Karavane der Velos mit ihren Anhängern sich in die verschiedenen Ecken des Dorfes zerstreut.

Gemeinschaftliches Essen auf dem Acker mit Zubereitung auf dem offenen Feuer

Euer Garten orientiert sich an den Ideen und Methoden der Permakultur. Welche Kräfte wirken in eurem Garten, so dass er Gestalt angenommen hat?

Es wirken ganz viele Naturkräfte. Die Kraft von vielen kleinen Tierchen, die Kraft des Netzes vom Leben, die Kraft der Wildheit, die Kraft von gegenseitigem Geben und Nehmen, die Kraft der Freude am Tun und kreativen Gestalten.

Wie du sagst, der Garten lebt von der Wildheit und Kraft der Mitglieder, Freunde, Naturwesen, Marienkäfern und Regenwürmen. Zusammen habt ihr im Sommer ein Fest gefeiert. Welche Eindrücke sind dir davon geblieben?

Eigentlich war der ganze Sommer auf dem Acker so etwas wie ein Fest. Aber im Juli haben wir viele Leute eingeladen, mit uns zusammen den Garten, der sich so magisch und unglaublich schnell entwickelt hat, zu feiern. Die Eindrücke, die von diesem Fest geblieben sind: Viele Farbe, schwingende Tanzbeine, rhythmische Klänge, ein Tipi, ein Ritterzelt, viele Kerzen im Treibhaus, ein sehr grosses Picknick auf der Wiese, Lebensfreude.

Sommerfest im Gemeinschaftsgarten mit Musik und Tanz, Gartenführungen, Lagerfeuer und Gemeinschaftsbuffet, alle brachten etwas mit

Auch andere Gemeinden wie Rüti und aus dem Engadin interessieren sich für das ErdVogel Projekt. Welche Informationen und Beratung können Interessierte Menschen bei euch erhalten?

Wenn jemand durch den Garten geht, erzählt der Garten selbst schon viel. Er inspiriert. Einige von uns können gärtnerisches Wissen weitergeben. Einige strukturelles, organisatorisches oder gemeinschaftliches Wissen.

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Das grosse Ernten hat schon stattgefunden. Oder erntet ihr noch im Garten?

Wir haben vor dem ersten Frost viel garntet, zum Beispiel die Kürbisse, Randen, Kohlrabis, Karotten, Rotkohl. Wir haben auch Sauerkraut aus dem Weisskohl gemacht. Aber es befindet sich immer noch viel im Garten, dass wir im Winter weiter ernten können, allem voran viele Kohlpflanzen: Federkohl, Palmkohl, Rosenkohl. Aber auch Lauch und Wintersalate. Wir werden auch unter dem Schnee noch Sachen zum Ernten haben.

 Und was kocht ihr daraus?

Bunte Gemüseteller, Fenchelkrautpesto, Zucchettikuchen, gefüllte Kürbisse, Physalisdesserts, Tomatensalate, Capuns, um nur einiges zu sagen. Eigentlich alles.

Bilduntertitel: Wildes Gemüse und Pflanzenallerei in den 95 Beeten vom Erdvogel

Immer mehr kehrt sich das Leben in den Bauch von Mutter Erde zurück. Eure Arbeit auf dem Acker wird zunehmender ruhiger. Was nährt euch den Winter über, bis ihr wieder im Frühling auf den Acker könnt?

Im Moment sind wir nach wie vor oft auf dem Acker. Wir kümmern uns um den Kompost, wir mulchen den Boden, so dass wir zum Beispiel im Gemüsetunnel auch nächstes Jahr wieder auf genährten, ausgeruhten Boden Tomaten pflanzen können. Weidenzäune bauen. Feuerholz rüsten. Manchmal treffen wir uns auch bei jemandem zuhause und verarbeiten eine Ernte für die Vorratskammer.

Abendstimmung im Gemeinschaftsgarten im Tonacher

Oder seid ihr am Schmieden neuer Pläne?

Wenn der Winter vollends eingezogen ist, ist auch ein bisschen „inneres gärtnern“ angesagt. In der Gruppe herauszufinden. Wo stehen wir, wo wollen wir hin? Können wir uns zur wahren Gemeinschaft weiterentwickeln? Denn das ist ein wichtiges Ziel des Erdvogels: Gemeinschaftsarbeit, Strahlkraft. Es geht nicht nur um physische Ernte, physische Nahrung, sondern auch ums genährt werden auf vielen anderen Ebenen.

Bilduntertitel: Gemeinschaftliches Tun und Wirken im Garten mit den Vereinsmitgliedern

Möchtet ihr mit dem Erdvogel Geld verdienen?

Nein, obwohl wir zu Beginn, bevor der Garten enstand, auch Konzepte wie „Soldidarische Landwirtschaft“, z.B. ein Gemüsekorbabo, im Kopf hatten, sind wir im Moment froh, dass wir einfach ein Gemeinschaftsgarten sind, der fast ohne Geldflüsse funktioniert. Wir möchten es auch bleiben. Denn es macht den Zauber des Erdvogels aus, dass er in der Logik de Geschenks funktioniert. Wie uns die Erde ihre Erne schenkt, so verschenken auch wir Überschüsse lieber, als sie zu verkaufen. So entsteht kein Druck, dass Erwartungen erfüllt werden müssen, und der Zauber wird bewahrt. Wir befinden uns mit dem Garten – ganz bewusst – ausserhalb des überall präsenten Wirtschaftssystems.

Abschliessend würde unsere Leser sicher noch interessieren, ob der ErdVogel mit dem Feuervogel irgendwie verwandt ist. Ist das so?

Ja, das ist tatsächlich so. Der Feuervogel begleitet mich, nimmt mich mit auf seinen Flug, schon seit vielen Jahren. Ich arbeite im Sekretariat des Feuervogels. Und auch andere Menschen im Erdvogelvorstand haben ihre Wurzeln im Feuervogel. Die Namensähnlichkeit ist deshalb nicht zufällig entstanden.

Homepage mit Infos und Kontakt: https://erdvogel.ch/

Das digitale Fachblatt “Nature Flow” bietet konkrete Themen nach den Grundlagen der Naturpädagogik und erdgerechte Zukunftsideen.

Ob als Waldspielgruppenleiterin, Waldkindergärtnerin, Lehrperson, Pädagogen und Erwachsenenbildner oder Draussen Familien, alle finden nahrhaftes Wissen bei uns.

Redaktionsleitung: Christoph Lang, Nadja Hillgruber

Redaktionelle Gestaltung und Umsetzung: Nadja Hillgruber

Bildnachweis: © Genossenschaft Feuervogel für Naturpädagogik und Verein Erdvogel

Das digitale Fachblatt “Nature Flow” ist in seinem 13. Erscheinungsjahr unter dem Dach der Feuervogel Genossenschaft für Naturpädagogik in der Schweiz

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