Den Weg zur Natur finden

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Immer mehr Menschen und Familien beobachten wir in den letzten Monaten, wie sie durch die Wälder streifen, sich mehr Zeit nehmen, um Balance finden. Diese Aufenthalte bieten Gelegenheit mit allen Sinnen die Natur offen wahrzunehmen und sich zu verbinden, denn die Natur hält alles bereit, um sich mit etwas Übung schöne und nützliche Gegenstände selber zu machen. Davon schreibt die Autorin Sabine Simeoni, die zusammen mit ihrem Mann ihre eigene Wildnisschule „Naturbegegnungen“ 2008 in Lichtenfels bei Bamberg gündete. Ihr erstes erfolgreiches Buch „Wildes Naturhandwerk“ mit dem sie Lust und Mut macht mit einfachen Naturmaterialien kreatives Handwerk nachzumachen und auszuprobieren, können wir uns aus dem Bücherregal gar nicht mehr wegdenken. Im Frühling 2020 erschien ihr zweites Buch „Mit der Natur verbunden“. Die Naturmentorin und Waldpädagogin lädt dazu im Alltag gelassen und friedvoll zu bleiben, was in der heutigen Zeit nicht immer einfach ist. Sie zeigt, wie das mit einfachen Mitteln gelingt. Dazu baut sie einfache Routinen wie das Führen eines Naturtagebuchs und Gespräche im Redekreis in den Alltag ein, um in unserer lauten Zeit den Klang des einfachen Lebens wieder zu spüren und unsere tiefe Sehnsucht nach Ursprünglichkeit zu stillen.

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Nature Flow: Bevor wir in unser Gespräch einsteigen, wie geht es dir gerade in diesem Moment?

Sabine Simeoni: Gerade bin ich sehr dankbar für die vielen Möglichkeiten, die mir das Leben gerade schenkt. Für die wundervolle Jahreszeit, die bunten Farben und vielen Naturschätze, die mir täglich vor die Füße kullern. Als wolle die Natur nochmal alles geben! Gleichzeitig zeigt mir die Natur ihre Vorbereitung auf die Winterruhe, in dem sie ihre äußere Pracht loslässt und sich ihren Wurzeln zuwendet. So entsteht in mir ein beruhigendes Gefühl und eine Sehnsucht nach der kommenden Stille und Innenschau der Wintermonate, die ich nach diesem – doch in vielen Bereichen- herausforderndem Jahr, herbeisehne.

Es freut mich, dass wir diesen Herbst wieder zu einem Gespräch zusammenkommen, aus dem wunderbaren Anlass, weil dein neues Buch im Frühling erschienen ist. Zuletzt sprachen wir über die Hosentaschenschätze die wertvolle Objekte und Ausdruck unserer Kreativität und Fantasie sind. Heute wollen wir in deine eigene Wildheit blicken. Wenn du sie gerade beschreiben könntest, wo versteckt sie sich in dir?

Wenn ich meine eigene Wildheit beschreiben sollte, würde ich meine Denkweise und mein Empfinden beschreiben, denn sie befindet sich in meinem seelischen Urgrund. Leider ist diese Betrachtungsweise uns Menschen durch Separation ziemlich gründlich abtrainiert worden und Erde und Natur wurden auf ein Objekt reduziert. Doch eine natürliche Naturverbindung ist in unseren Genen vorhanden und dort docke ich mich immer wieder an.

Wildheit und wildes Denken ist nicht analytisch, sondern ganzheitliches Wahrnehmen und Begreifen. Es ist meine fühlende Wahrnehmung und Empfindung und öffnet die Tore in meinen Weltinnenraum. So gestalten sich meine menschlichen Beziehungen durch meine innere Wildheit wie die Natur ihren Rhythmus gestaltet.

Auch mir gelingt das im Alltag nicht immer diese Tore offen zu halten und es sind die kleinen Dinge, Naturschätze, aber auch Rituale und Gebete die mich wieder einbetten in mein wildes Sein.

Sabine Simeoni ist Wald- und Wildnispädagogin, Naturmentorin,  Yogalehrerin, Autorin und ausgebildet in traditioneller Phytotherapie.  Ihre Vision ist es, Menschen durch einfühlsames Begleiten in ihren  persönlichen Fähigkeiten zu stärken und ihre Beziehung zur Natur  nachhaltig zu vertiefen.
Sabine Simeoni ist Wald- und Wildnispädagogin, Naturmentorin, Yogalehrerin, Autorin und ausgebildet in traditioneller Phytotherapie. Ihre Vision ist es, Menschen durch einfühlsames Begleiten in ihren persönlichen Fähigkeiten zu stärken und ihre Beziehung zur Natur nachhaltig zu vertiefen.

Damit du dein Leben in gesunder Balance halten kannst, was machst du dafür?

Mir helfen sehr Routinen und eine klare Struktur im Alltag. Ich plane jeden Morgen eine Zeit für meinen Sitzplatz ein. Nachdem unsere Hündin im Frühjahr gegangen ist, habe ich diese Routine wirklich einige Zeit sehr vernachlässigt, denn meine Trauer war zu tief, um alleine diesen Platz auf zu suchen. Aufenthalte draußen gehören für mich sowieso täglich dazu, wirken aber anders, als die gezielten Kernzeiten in der Natur.

Sofort haben sich andere Dinge in mein Leben eingeschlichen, die mich völlig aus dem Rhythmus geworfen haben. Ich konnte deutlich spüren, wie sich Dankbarkeit, Naturverbindung und kleine rituelle Handlungen auf meinen Tag auswirken, als sie plötzlich nicht mehr da waren.

Für mich sind diese Tätigkeiten mit den Händen meine tägliche Meditation…ich bekomme dabei einen klaren Kopf und es öffnen sich die Tore zu meiner Seele

Das ist das eine, das andere sind für mich die Beziehungen zu meinen Mitmenschen. Das regelmäßige Austauschen und auch die Redezeit in der Familie. In der Lockdownzeit etwas umständlicher zu organisieren, doch Dank der modernen Technik nicht unmöglich.

Zudem werkel ich ganz viel mit den Händen. Ich grabe in meinem Garten in der Erde und ich betätige mich kreativ mit verschiedenen Handwerks Projekten. Für mich sind diese Tätigkeiten mit den Händen meine tägliche Meditation. Ich bekomme dabei einen klaren Kopf und es öffnen sich die Tore zu meiner Seele. So gelingt es mir, ausgeglichen und geduldig mit mir und meiner Mitwelt zu sein.

Immer wieder klopfen Sehnsüchte bei uns an, die Wünsche und Träume bei uns hinterfragen. Was für Gewohnheiten hinterfragst du bei dir, um den Mut aufzubringen, andere Perspektiven einzunehmen?

Ich bin dankbar, wenn die Wünsche und Sehnsüchte fest anklopfen und nicht locker lassen, bis ich meine Gewohnheiten hinterfrage. Schnell schleichen sich unsere Denkmuster und Konditionierungen ein, wenn wir auf einen rationalen Modus eingestellt sind. Für mich ist das Tor zum Perspektivenwechsel das “Modell der Jahreszeiten der menschlichen Natur”. So kann ich mit der Frage: was ist da gerade in mir? durch das Rad wandern und erlange so eine Rückverbindung zu den tiefen Quellen meines Wesens. Das bringt mich wieder in Balance und gibt mir Mut für einen Perspektivenwechsel.

Die Gewohnheiten, die mich daran hindern, neues zu tun, sind ganz oft Bequemlichkeiten, die mich in meiner Komfortzone festhalten.

Die Gewohnheiten, die mich daran hindern, neues zu tun, sind ganz oft Bequemlichkeiten, die mich in meiner Komfortzone festhalten. Ein Beispiel ist das Barfußlaufen, das mich aktuell beschäftigt, da es mittlerweile bei vielen Menschen zu einer gesunden und naturverbundenen Routine zu werden scheint. Wenn du es schaffst, nur für wenige Minuten deine Schuhe auszuziehen und mit nackten Füßen durchs Laub zu gehen, den kalten Boden spürst und den erdigen Untergrund und dann das Kribbeln auf deiner Haut, wenn du die Schuhe wieder anziehst, verändert das deine Gewohnheit und somit dein Gehirnmuster.

In deinem neuen Buch «Mit der Natur verbunden» geht es dir darum sich mit wildem Naturhandwerk zu tiefer Naturverbindung zu gelangen. Was sind die Merkmale der Naturverbindung?

Wenn wir uns als Menschen wieder auf den Weg machen und uns mit der Natur rückverbinden, gehen wir unserer ursprünglichen Sehnsucht des Menschseins nach. Wir erfahren die Natur wieder als lebendigen und beseelten Raum und das heilt Menschen auf vielfältige Art und Weise.

Ich würde sagen, wenn der Mensch es schafft, sich von der Natur berühren zu lassen, dann entsteht eine wahrhaftige Verbindung zur Natur. So kann die innere Wahrnehmung gestärkt werden und es entstehen Ehrfurcht und ein wertschätzender Umgang mit der Natur.

Ich würde sagen, wenn der Mensch es schafft, sich von der Natur berühren zu lassen, dann entsteht eine wahrhaftige Verbindung zur Natur

Der Mensch fühlt sich eingewoben im Netz der Lebendigkeit und entwickelt seine Begeisterungsfähigkeit und sein Potential. Wir spüren, was die Erde braucht und es gelingt uns ein Austreten aus unserer menschlichen Selbstbezogenheit. Daraus können wiederum echte menschliche Begegnungen wachsen, die kultur veränderte Gemeinschaften bilden können. Das Denken und das Fühlen hat sich verändert und wir sind mit dem Herzen verbunden!

Du zitierst in einer Veröffentlichung, die Worte von David Herbert Lawrence, in dem er sagt, wir bluten an den Wurzeln, weil wir uns von der Erde, Sonne und den Sternen abgeschnitten sind. Welche Gedanken hegst du bei diesem Satz?

Das menschliche Leben auf diesem Planeten hat sich verirrt. Die Balance zwischen Mensch und Ökosystem ist gestört. Wir haben uns derart von der Natur entfernt, dass die Krise in der die Menschheit steckt, sichtbar wird. Wir brauchen eine Rückverbindung mit dem Gedächtnis der Evolution. Der lebendige Urgrund ist vorhanden, doch

Jeder einzelne ist aufgefordert einen Schritt zurück zu treten und sich die Frage zu stellen: Was ist dem Leben dienlich?

die Menschen haben sich davon abgetrennt. Deshalb fand ich das Bild der blutenden Wurzeln so treffend. Der Klimawandel, die Krisen der Erde erfordern einen Weltbildwandel. Und um diese blutenden Wurzeln zu heilen müssen wir Opfer bringen. Jeder einzelne ist aufgefordert einen Schritt zurück zu treten und sich die Frage zu stellen: Was ist dem Leben dienlich?

Ich fand es so spannend, als ich die Bedürfnispyramide in deinem neuen Buch fand. Wir sprachen im Zusammenhang mit dem Uralten Urspiel darüber und überlegten uns wie die Natur-Bedürfnis-Pyramide für das Urspiel aussehen könnte. Welche Gedanken kommen dir heute dazu in den Sinn? Welcher Blickwinkel ist für dich neu hinzugekommen oder hat sich für dich geändert?

Eine Bedürfnispyramide, wie ich sie heute beschreiben würde, braucht einen radikaleren Ansatz. Covid-19, der Klimawandel und deren Auswirkungen haben uns aus meiner Sicht noch einmal gezeigt, was die menschlichen Grundbedürfnisse sind. Wenn ich an erster Stelle: Nutze, was du hast! stelle, würde ich dieses Bedürfnis ausweiten und schreiben, pflege und schätze Wert, was du hast! Schaue dir an, was du wirklich brauchst zum Leben, sind es deine individuellen Bedürfnisse und materielle Dinge oder ist vielleicht schon alles vorhanden? Wie sehen deine persönlichen Sicherheitsbedürfnisse aus? Frage dich, was gibt deinem Leben tatsächlich Sicherheit? Wie spannend war es zu beobachten, wie viele Menschen sich Beschäftigungen suchten, kreativ wurden und draußen unterwegs waren. Soziale Kontakte haben mich hinsichtlich des Lockdowns ebenso sehr beschäftigt und menschliche Schicksale sehr berührt. Und es hat sich für mich wieder bestätigt, wie wichtig menschliche Kontakte für die Balance des Lebens sind. Das gilt übrigens für alle Generation!

Ein Satz aus Russland, den ich gelesen habe besagt: «Die Hände sind es, die das Glück schaffen und den Kummer vertreiben». In deinem neu erschienenen Buch sind viele kreative Projekte mit Naturhandwerk beschrieben. Welche Art der Inspiration oder Suche des Glücks möchtest du damit weitergeben?

Ich möchte Menschen dazu ermutigen, auszuprobieren, sich zu trauen mit ihren Händen etwas zu begreifen. Unsere Gesellschaft ist so verkopft und abgetrennt von Herz und Hand, dass es uns nicht mehr möglich ist die kleinen Wunder zu erkennen. Selbst Kinder befinden sich in dieser Getrenntheit. Obwohl sie es uns als Säuglinge vormachen, wie natürlich es ist, die Welt erstmal zu begreifen! Wir

Deshalb ist es so gut für das Seelenheil und die Lebensbalance etwas mit den Händen zu erschaffen und dabei ganz bei uns selbst anzukommen

Erwachsene jedoch trainieren ihnen das gründlich ab. Haben wir wieder den Mut uns ganzheitlich auf Dinge ein zu lassen, begeben wir uns gleichzeitig zurück in unsere inneren Welten. Deshalb ist es so gut für das Seelenheil und die Lebensbalance etwas mit den Händen zu erschaffen und dabei ganz bei uns selbst anzukommen. Dabei erfahren wir die Angebundenheit an das große Ganze. Wie ich es auch schon weiter oben beschrieben habe.

Stellen wir uns vor, was wäre, wenn wir uns auf die Reise machen und diese innere Verbindung erforschen. Wie die indigenen Naturvölker, von denen du schreibst, dass es für die Seele wichtig ist, in Harmonie mit dem Geburtsort zu sein. Denn sie sind der Auffassung, dass diese Verbindung uns dabei unterstützt, eine persönliche Identität zu entwickeln und wir so zu den Menschen werden, die wir sind. Welche Landkarte trägst du als Abbild deiner Heimat in dir, um den Menschen damit verständlich zu machen, auf welche Reise wir uns begeben sollen?

Die innere Landkarte führt uns in eine Kultur der Verbundenheit. Indigene Völker sehen sich nicht getrennt von der Natur, sondern sie nehmen sich als Eins wahr mit der Erde und allen Wesen. Meine innere Landkarte ist gezeichnet von den Wegen meiner Ahnen. Sie haben das Land vorbereitet und die Kultur geprägt, damit ich heute so leben

Je genauer wir die Landkarte der äußeren Heimat kennen, desto klarer wird die innere Landkarte.

kann, wie ich lebe. Natürlich wissen wir heute viel mehr, als die Menschheit damals, doch wussten sie ebenso viel Dinge, die für unser heutiges Leben auf der Erde wieder wichtig sein können und die wir vergessen haben. Wenn wir uns auf Spurensuche in der Natur unserer Heimat begeben, werden wir natürliche Kreisläufe erkennen und eine Verbindung zu dem Ort von dem wir kommen und an dem wir leben, aufbauen können. Je genauer wir die Landkarte der äußeren Heimat kennen, desto klarer wird die innere Landkarte.

Abschließend, was wünschst du den Menschen für die Zukunft?


“Erhalte die, die dich erhalten und die Erde wird für immer überdauern.”

Ich wünsche den Menschen Besinnung auf Verbundenheit, damit sie sich wieder Ganz und zugehörig fühlen. Kürzlich habe ich einen sehr schönen Satz von Robin Wall Kimmerer gelesen, der alles ausdrückt, was so essentiell für unsere Zeit ist:

“Erhalte die, die dich erhalten und die Erde wird für immer überdauern.”

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Mit der Natur verbunden

Mit wildem Handwerk zu den eigenen Wurzeln finden • Mit wildem Handwerk zu den eigenen Wurzeln finden. Ideen für Naturerfahrung und Projekte mit Naturmaterialien

Nützliches, Schönes und Heilendes aus Naturmaterialien.

Handfeste Naturerfahrung für den Alltag..

Spiele, Möbel und Kosmetika selber herstellen.

Mehr Infos zu Sabine Simeoni

https://simeoni.de

https://instagram.com/sabine_simeoni

https://www.facebook.com/naturbegegnungen/

https://www.feuervogel.ch/nature-flow-das-digitale-fachblatt/
https://www.feuervogel.ch/nature-flow-das-digitale-fachblatt/

Das digitale Fachblatt “Nature Flow” bietet konkrete Themen nach den Grundlagen der Naturpädagogik und erdgerechte Zukunftsideen.

Ob als Waldspielgruppenleiterin, Waldkindergärtnerin, Lehrperson,  Pädagogen und Erwachsenenbildner oder Draussen Familien, alle finden nahrhaftes Wissen bei uns.

Redaktionsleitung: Christoph Lang, Nadja Hillgruber

Redaktionelle Gestaltung und Umsetzung: Nadja Hillgruber

Bildnachweis und Text: © Nature Flow

Das digitale Fachblatt “Nature Flow” ist in seinem 11. Erscheinungsjahr unter dem Dach der Feuervogel Genossenschaft für Naturpädagogik in der Schweiz

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