Das Autorenteam möchte Superkräfte wecken

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Mit dem neuen Buch „#Education for Future”, arbeitet der Hirnforscher Gerald Hüther nicht daran, Menschen zu verändern, sondern er versucht mit dem Autorenteam Marcell Heinrich und Mitch Senf, den Blick dafür zu öffnen, dass auch etwas Anderes bedeutsam sein könnte als das, was die Menschen im Augenblick für bedeutsam halten. Wenn sich irgendetwas auf der Ebene der Bedeutsamkeit ändert, ändert sich die Welt. Das ist das Großartige. Wir, Menschen, sind als Suchende unterwegs und als Suchende lernt man sozusagen zwangsläufig, dass man sich verirren kann, auch immer wieder verirren muss und sich auch immer wieder verirren wird. Man kann auch nicht lernen, wie das Leben geht, wenn man lernen will, wie das Leben geht, muss man raus ins Leben. Das wäre eigentlich unser Auftrag als Mensch. Zu erkennen, was uns hervorgebracht hat und das dann zu bewahren, mit anderen Worten, die Vielfalt des Lebendigen zu bewahren.

Das gesamte Gespräch mit Gerald Hüther als Video

Im Gespräch mit dem Hirnforscher Gerald Hüther über ein gelingendes Leben, bei dem der Schlüssel für eine tiefgreifende Transformation die Eltern sind

Das gesamte Gespräch mit Gerald Hüther als Audio Stream

Cover von dem Buch
Cover von dem Buch

Link zum Buch

#Education For Future

Bildung für ein gelingendes Leben

Autoren: Gerald Hüther, Marcell Heinrich und Mitch Senf

Dieses Buch ist unser Geschenk für alle Kinder und Jugendlichen, als Dank für all das, was sie den Erwachsenen dieser Welt schenken

Das Muster der Perfektion brechen

Wir freuen uns sehr, dass wir nachdem dem Interview mit Gerald Hüther, ebenfalls mit einem der Co-Autoren des Buches #education for future, mit Marcell Heinrich ein persönliches Gespräch führen konnten.

Marcell Heinrich ist einer der Mitbegründer von Hero Society. Er ist fasziniert von der Jugend und sieht in ihr große Hoffnung. In den letzten Jahren hat er eine Organisation aufgebaut, die inzwischen mehr als eine Million Jugendliche in ihrer Persönlichkeit gestärkt hat. Er hat mehr als 10.000 Lehrer in Seminaren fortgebildet, hat Eltern gecoacht und zahlreiche Ausbildungsbetriebe im Umgang mit ihrem Nachwuchs beraten. Hautnah hat er die Sorgen und Nöte der Jüngsten kennengelernt und kenne die Fragen jener, die es gut mit ihnen meinen.

Das komplette Gespräch mit Marcell Heinrich im Videoformat

Das komplette Gespräch mit Marcell Heinrich

2013 gewinnen sie den „Act for Impact“-Förderpreis für Sozialunternehmer, der höchstdotierte Preis im Bereich Bildung und Integration in Deutschland. Hero Society erkennt, worin Menschen besonders gut sind. In der Lebens- und Arbeitswelt der Zukunft kommt es auf die Einzigartigkeit des Menschen an. Wer weiß, was ihn ausmacht, der kann Großes leisten und sinnvolle berufliche Aufgaben wählen, die ihm wirklich viel bedeuten. Hero Society zeigt tausenden junger Menschen, was in ihnen steckt. Sie entdeckt Superkräfte in Unternehmen, in Schulen, in Feriencamps und eröffnet passende Lebens- und Berufswege. Mit diesem Anliegen vertrauen der Hero Society bereits hunderte Schulen, Ausbildungsbetriebe und Familien. Marcell Heinrich ist ihr Mitbegründer und Geschäftsführer.

Plädoyer von Marcell Heinrich

«Das Muster der Perfektion brechen. Wir sollen in eine Welt kommen, in der wir erst mal alle gut genug sind. Lernen wie das Leben geht, möglichst Fehler machen und die dann nicht nochmal wiederholen.»

Mehr Infos

Hero Society www.hero-society.org

Marcell Heinrich  www.marcellheinrich.com

Lied «Sicherer Hafen» bei Spotify

Marcell Heinrich auf youtube

Mitch Senf https://mitchsenf.com/

Die Ausbildung zum Potenzialentfalter. So erkennst du die Superkräfte in dir und Anderen!

Einleitung: Worum es geht es in dem Buch #education for future?

Es liegt in der Luft. Sogar die Bildungspolitiker, auch die in den Bildungseinrichtungen tätigen Personen und vor allem die um die Zukunft ihrer Kinder besorgten Eltern spüren es seit einigen Jahren immer deutlicher: So rasch hat sich die Welt noch nie verändert. Allen ist klar, dass sich dieser, mit der Globalisierung und Digitalisierung einhergehende Veränderungsprozess noch weiter beschleunigen wird. Wer jetzt nicht aufwacht und sich lernend auf den Weg macht, wird schnell den Anschluss verlieren. Deshalb sind sich auch alle einig, wie wichtig eine möglichst gute Bildung für die in diese Welt hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen ist.

Aber schon bei der Frage, wie diese optimale Bildung aussehen soll, scheiden sich die Geister. Manche fordern intensivere und verbesserte Wissensvermittlung, andere meinen,  auf die Aneignung von Kompetenzen komme es vor allem an. Manche finden die Förderung der sogenannten „leistungsschwachen“ Kinder besonders wichtig, andere weisen darauf hin, dass den besonders Begabten dringend bessere Entfaltungsmöglichkeiten geboten werden müssen. Und so geht die Debatte dann auch munter weiter:   Inklusion oder ab in die Sonderschulen, Frontalunterricht oder Projektarbeit, Lernen in Teams oder einzeln. Gesamtschule oder Gymnasium, Notengebung und Sitzenbleiben oder keinen Schüler zurücklassen…Zu jeder Frage gibt es ebenso hitzige wie zermürbende Diskussionen darüber, was denn nun das geeignetere Vorgehen sei.

Aber Uneinigkeit herrscht nicht nur hinsichtlich der Frage, wie ein optimaler Unterricht auszusehen hat. Noch viel breiter wird das Spektrum an Vorschlägen und Ideen, wenn es darum geht, welche Inhalte in der Schule unterrichtet werden, welcher Stoff dort also in welchen Fächern vermittelt werden soll. Lehrpläne abspecken sagen die Einen, mehr Mathe und Naturwissenschaft oder auch intensiveren Deutsch und Fremdsprachenunterricht die Anderen. Kunst und musische Fächer dürften nicht vernachlässigt werden, aber Sport und Politik und Handarbeit auch nicht. Und gleichzeitig wächst die Liste mit Vorschlägen, was noch alles in der Schule unterrichtet werden sollte: Vom Verhalten im Straßenverkehr über gendergerechte Sexualkunde bis hin zur Körperhygiene, Wirtschaftskunde und selbstverständlich auch der Umgang mit digitalen Medien.

Die Aufzählung all der vielen Vorschläge und Forderungen, die alle entweder darauf abzielen, wie künftig besser unterrichtet und gelernt werden sollte oder was in den Bildungseinrichtungen unterrichtet und gelernt werden sollte, ließe sich noch beliebig erweitern. Und natürlich kann man dann auch trefflich darüber debattieren, was davon tatsächlich geeignet ist, um eine möglichst gute Bildung für möglichst viele Heranwachsende zu erreichen. Wer dieses ganze Hin und Her und das ständige Für und Wider der heute üblichen Bildungsdebatten als unbefangener Beobachter von außen betrachtet, kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass da etwas nicht stimmt. Nicht irgendetwas, sondern etwas ganz Grundsätzliches.

Sichtbar wird das ja nicht nur im Bildungsbereich, sondern auch in allen anderen Bereichen unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Überall kommt es zu einer einer stetig wachsenden Anzahl unterschiedlicher, oft genug einander widersprechender Vorschläge und Forderungen, die darauf ausgerichtet sind, was alles auf welche Weise umzusetzen ist. Dieses Durcheinander ordnet sich erst dann, wenn die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft sich über den Sinn und Zweck ihres Tuns einig geworden sind. Weshalb das so ist und auch gar nicht anders sein kann, wird uns später noch etwas eingehender beschäftigen. Es wird Sie dann vielleicht überraschen, dass dafür nicht die Kultusbürokratie, sondern der 2. Hauptsatz der Thermodynamik verantwortlich ist.

Für das Bemühen um eine möglichst gute Bildung heißt das: So lange es nicht gelingt, uns miteinander darauf verständigen, wofür Bildung gebraucht wird und wozu sie Kinder und Jugendliche befähigen  soll, werden wir uns auch weiterhin in einer ständig wachsenden Fülle an gutgemeinten Vorschlägen und wohlbegründeten Forderungen zur Verbesserung der Bildung verheddern.

Wofür und wozu also braucht ein Mensch, brauchen vor allem Heranwachsende eine möglichst gute Bildung? Gibt es da etwas, worauf wir alle uns einigen könnten?

Es müsste ja etwas sein, das nicht nur hier, in unserem Land, sondern überall auf der Welt gültig ist. Und genaugenommen dürfte das, was durch Bildung erreicht werden soll, auch nicht erst jetzt, in der heutigen Zeit von entscheidender Bedeutung sein, sondern schon immer, solange es Menschen gibt, die sich in ihrer jeweiligen Lebenswelt zurechtzufinden versuchten. Bereits unsere frühen Vorfahren, die noch als Jäger und Sammler umherzogen, brauchten auch damals schon eine Art von Bildung, die ihnen das Überleben in ihren Gemeinschaften ermöglichte. Ihr erworbenes Wissen und Können oder irgendwelche besonderen Kompetenzen müssen auch sie schon an ihre Nachkommen weitergegeben haben. Vor allem dann, wenn es schwierig wurde und sie nicht mehr weiterwussten, suchten sie bei ihren ältesten und erfahrensten Mitgliedern Rat. Das waren keine Spezialisten, die dieses oder jenes besonders gut wussten oder konnten, sondern besonders Gebildete. Und diese Ratgeber waren deshalb so gebildet, weil sie im Lauf ihres Lebens besonders viele Gelegenheiten hatten, um nachhaltig zu lernen, was Menschsein bedeutet und wie ein fruchtbares Zusammenleben in menschlichen Gemeinschaften möglich wird.  Geht es nicht auch noch heute und in Zukunft genau um diese Art von Bildung, die Menschen immer und überall brauchen? Wer gelernt hat, mit sich selbst klarzukommen, sich im Leben zurechtzufinden und es gemeinsam mit anderen zu gestalten, wird sich mit Freude und Leichtigkeit auch all das spezifische Wissen und Können, auch die dazugehörigen Kompetenzen aneignen, um die in seiner Lebenswelt und zu seiner Lebenszeit anfallenden spezifischen Aufgaben zu meistern oder auch einfach nur mühelos zu erledigen?

Klar, wir leben heute und nicht mehr in der Steinzeit. Aber genau so, wie unsere damaligen Verwandten müssen auch wir heute geeignete Orte und Gelegenheiten schaffen, wo unsere Kinder all das lernen können, was sie für ein gelingendes Leben brauchen. Wer könnte uns sagen, worauf es dabei ankommt und wie sich das dann auch praktisch umsetzen läßt? Unternehmensführer? Politiker? Hochschullehrer? Oder unsere Kultusbeamten und Bildungsexperten? Deren Vorstellungen Konzepte und Maßnahmen haben unser Bildungssystem ja genau dorthin geführt, wo wir heute angekommen sind: in die Orientierungslosigkeit.

Sollten wir lieben bei denjenigen Rat suchen, denen weniger ihr Ansehen und ihre Karriere am Herzen liegt, sondern – so sehr es nur geht – die Zukunft der in unsere Welt hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen. Das können auch Pädagogen, Politiker oder Hochschullehrer sein, aber das sind immer und zuallererst diejenigen, die diesen Kindern ihr Leben geschenkt, die sie begleitet und, so gut sie das vermochten, großgezogen haben.

Und was antworten die meisten Eltern, wenn sie gefragt werden, was sie sich für ihre Kinder wünschen? „Glücklich sollen sie sein, jetzt schon, aber auch noch später, als Erwachsene.“ Und wenn man die Eltern dann weiter befragt, was ihrer Meinung nach jedes Kind, überall auf der Welt wirklich braucht, um sein Leben so gestalten zu können, dass es glücklich wird, kommen die Antworten hervorgesprudelt wie das Wasser aus einer Quelle: Eine Tätigkeit, die Freude macht, verlässliche Freunde, die zu ihm halten, und natürlich auch Geborgenheit, Vertrauen, Zuversicht, viel Phantasie und gute Ideen, auch Herausforderungen und immer wieder ganz viel Freude am eigenen Entdecken und am gemeinsamen Gestalten.

Nicht ganz so schnell wird deutlich, was diejenigen Eltern meinen, die auf diese Frage antworten: „Mein Kind soll später im Leben erfolgreich sein, Karriere machen, Anerkennung finden und genug Geld verdienen. Es soll ihm besser gehen als uns.“ Auch das ist ein verständlicher Wunsch. Und es werden ja heutzutage in den Medien sehr gern und oft genug Personen vorgestellt, die besonders erfolgreich in Spitzenpositionen aufgestiegen sind, die viel Geld und wertvolle Besitztümer erworben haben, berühmt geworden sind und von anderen bewundert werden. „Aber“, so sollte man diese Eltern weiter fragen, „sind die auch wirklich glücklich?“ Solange der Erfolg anhält vielleicht, aber sonderbarer Weise wird die Mehrzahl dieser so überaus erfolgreichen Überflieger irgendwann vom wirklichen Leben eingeholt. Und dort finden sie sich dann gar nicht so gut zurecht, werden depressiv, alkohol- und drogensüchtig, leben in kaputten Familien und sind alles andere als glücklich. Ist es wirklich das, was diese Eltern ihren Kindern wünschen?

Möglicherweise kommt es gar nicht darauf an, erfolgreich zu sein. Möglicherweise ist es, um wirklich glücklich zu sein, viel wichtiger, dass einem möglichst Vieles im Leben gelingt. Möglicherweise geht es gar nicht um den Erfolg, sondern um das Gelingen. Wie schön, dass wir in unserer Sprache diesen kleinen, aber entscheidenden Unterschied zum Ausdruck bringen und uns deshalb auch bewusst machen können. Wenn wir sagen, etwas sei gelungen, dann meinen wir damit, dass nicht wir es so gemacht haben, wie es geworden ist, sondern dass wir es nur ermöglicht haben, dass es so werden konnte. Einfache Aufgaben wie ein Forschungsprojekt oder ein Fahrradrennen kann man erfolgreich abschließen. Aber alles, was im tagtäglichen Zusammenleben stattfindet und deshalb sehr komplex ist und sich in vielfältigen Wechselwirkungen entfaltet, kann nur gelingen. Eine Partnerschaft beispielsweise oder eine Hochzeitsfeier oder das Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft. All das, ja alles, was das Leben an schwierigen Herausforderungen für uns bereithält und was wir irgendwie meistern müssen, kann nur gelingen, aber nicht erfolgreich zu Ende geführt werden.

Nun sind wir endlich dort angekommen, wo die Frage nach dem Sinn der Bildung spannend wird: Auch ein Leben, ein glückliches Leben kann unseren Kindern nur gelingen. Wir können es nicht für sie machen, auch wenn wir uns noch so sehr darum bemühen. Aber wir können ihnen ermöglichen, sich all das anzueignen, was sie brauchen, damit sie ihr Leben so gestalten können, dass es gelingt. Dann werden sie auch glücklich sein. Und das, was sie dazu brauchen und was wir ihnen dafür mit auf den Weg geben können, ist Bildung. Bildung für ein gelingendes Leben.

Alles andere ist Ausbildung. Und die dient dazu, später im Leben bestimmte Aufgaben übernehmen und bestimmte Leistungen erbringen zu können. Das dabei erworbene Wissen oder Können brauchen die in unsere Lebenswelt hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen auch. Wer sich hinreichend viel spezifisches Wissen und Können angeeignet hat, kann das dann möglicherweise auch sehr gut umsetzen und besonders erfolgreich werden. Aber das, Heranwachsende in den von uns geschaffenen „Bildungseinrichtungen“ lernen können, reicht dazu nicht aus. Eine Ausbildung, also der Erwerb von Wissen und Können, auch von Kompetenzen ist zu wenig, um sein Leben so gestalten zu können, dass es auch wirklich gelingt. Allein damit kann aus einem Heranwachsenden kein glücklicher Mensch werden, bestenfalls ein gut ausgebildeter und vorübergehend erfolgreicher.

Um es gleich von Anfang an klarzumachen: Wir sind alle drei keine Lehrer und auch nicht verbeamtet. Wir sind ausgebildet als Hirnforscher (G.H.), als Sportpädagoge (M.S.) und als Schulsozialarbeiter (M.H.). Aber wir sind vor allem lebendige Menschen, auch Väter, und wir sind auf der Suche nach dem, was uns und unsere Kinder glücklich macht. Dabei ist jeder von uns auf seine besondere Weise aus der Enge der jeweiligen Berufsbilder hinausgewachsen. Zu dritt können wir uns das gegenwärtige Geschehen in unseren Schulen deshalb aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit dem nötigen Abstand anschauen. Klar, dass wir so auch etwas anderes sehen und dass wir das, was dabei für uns sichtbar wird, auch anders bewerten als das all jene tun, die selbst Teil dieses Systems sind.

Die Welt, in der wir heute schon leben und in der unsere Kinder künftig leben werden, befindet sich schon seit eigenen Jahrzehnten in einem dramatischen Wandel. Kaum noch etwas ist heute noch so, wie es noch zur Jahrtausendwende war. Und wenn unsere Kinder ausgeschult sind, wird sich die Welt, in der sie sich dann zurechtfinden müssen so sehr verändert haben, wie wir Erwachsene, ob als Eltern oder als Lehrer uns das heute kaum vorzustellen wagen. Aber der große Wandel ist schon längst im Gang. Jeder spürt das, aber fast alle, die nun langsam wach werden müssten, versuchen genauso weiterzumachen wie bisher.

Das kann nicht gutgehen.

Die Voraussetzung, um irgendetwas an unserem gegenwärtigen Bildungssystem verändern zu können, ist eine zumindest einigermaßen klare Vorstellung davon, weshalb es so geworden ist und wie es künftig werden sollte. Mit diesen Fragen beschäftigt sich Gerald Hüther im ersten Teil dieses Buches. Sein Titel „Das Ende von Schulen, wie wir sie kannten“ macht schon deutlich, worum es hier geht: Jedes Bildungssystem und damit auch all das, was in Schulen geschieht, dient der Stabilisierung und der Weiterentwicklung der jeweiligen Gesellschaft. Diese Aufgabe – also die nachwachsende Generation dafür so gut wie möglich zu befähigen – erfüllen alle in dieses Bildungssystem eingebundenen und in seinen Einrichtungen beschäftigten Akteure.

Es gibt aber auch Zeiten, sogenannte Umbruchszeiten, in denen sich die gesellschaft und das, was in ihr geschieht, sehr rasch und auch sehr tiefgreifend verändert. Ausgelöst werden solche Umbrüche unter anderem durch technische Innovationen, aber auch durch politische oder wirtschaftliche Verwerfungen und Verschiebungen. Damit ändert sich in relativ kurzer Zeit sehr vieles von dem, was bisher gültig war und Orientierung bot. Die Bildungsverantwortlichen und die Schulen sind dafür nicht verantwortlich. Das Herbeiführen solcher Umbrüche war noch nie ihre Aufgabe. Wenn sie sich ereignen, sind weder die Bildungsverantwortlichen noch die Schulen darauf vorbereitet. Beide können dann nur noch auf  die großen Veränderungen reagieren, die sich draußen, vor den Schultüren vollziehen. Statt Erhalter und Gestalter der jeweilige gesellschaftlichen Verhältnisse zu sein, werden sie nun selbst immer stärker von den in der Gesellschaft ablaufenden Veränderungen gestaltet und in Frage gestellt. Diesem von außen auf sie wirkenden Veränderungsdruck folgen sie so lange, bis sie dann selbst auch wieder in diese neue Welt passen. Aber dann sind Schulen auch nicht mehr das, was sie einmal waren, nicht mehr die Bildungseinrichtungen, wie wir sie kannten.

Deshalb geht es in diesem ersten Teil auch noch nicht so sehr um die anstehende Verwandlung der Schulen, sondern um das Verständnis der gegenwärtig in unserer Gesellschaft stattfindende Veränderungen und Umbrüche. Es geht  um die Folgen der Digitalisierung und all dessen, was die Wirtschaftsleute als Industrie 4.0 bezeichnen. Es geht um die Globalisierung und die vielen Menschen, die ihre Heimatländer verlassen und  ein neues Zuhause irgendwo in der Welt suchen müssen. Und es geht hier auch um die Auswirkungen der rücksichtslosen Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen, um den Klimawandel, die Vermüllung unserer Landschaften und Meere, das ständig weiter um sich greifende Artensterben und um die Frage, was eigentlich noch alles auf uns zukommen muß, bis wir endlich aufwachen?

Vor allem aber geht es darum, was all das für unsere nachwachsende Generation bedeutet. Was kommt da auf unsere Kinder zu? Wie und vor allem wo sollen sie damit umzugehen lernen? Welche Fähigkeiten brauchen sie dafür und was müssten sie auf dem Weg in diese Zukunft in ihrem Marschgepäck haben? Es dürfte doch ab sofort kein einziges Kind mehr seine ihm angeborene Freude am eigenen Entdecken und am gemeinsamen Gestalten mehr verlieren. Wem die Freude am Lernen  unterwegs verloren gegangen – oder noch deutlicher: verdorben worden – ist, der wird keinen Weg in diese neue Welt finden. Ob mit oder ohne Abitur ist dabei egal.

Damit aber auch wirklich deutlich wird, wohin diese Veränderung führen muss, befasst sich Gerald Hüther in diesem ersten Teil mit der Suche nach dem, was es den Akteuren in unserem Bildungssystem und vor allem den Lehrpersonen so schwer macht, sich an diese neuen Herausforderungen anzupassen. Allem voran sind das die einmal entstandenen und damals wohl auch noch geeigneten Verwaltungs- und Organisationsstrukturen, die darüber bestimmten, was in den Schulen zu geschehen hatte. Sie haben sich bisher kaum verändert und wirken bis heute als seien sie aus Stein gemeißelt.

Aber genau so, wie sich innerhalb einer Gesellschaft bestimmte Organisationsstrukturen herausbilden, die dazu neigen, sich selbst zu stabilisieren, strukturiert sich auch unser Gehirn. Auch dort entstehen aus den anfänglich noch vielfältig verzweigten Fortsätzen und Kontakten, je häufiger und je erfolgreicher sie benutzt werden, erst Wege, dann Straßen und schließlich Autobahnen. Auf denen kommen die betreffenden Personen dann zwar immer schneller voran, aber davon kommen sie später auch zunehmend schlechter wieder herunter. Diese eingefahrenen Bahnen bestimmen dann allzu leicht ihr gesamten Denken, Fühlen und Handeln. Das gilt freilich nicht nur für die Akteure in unserem gegenwärtigen Bildungssystem, sondern für alle, die fest davon überzeugt sind, dass die Schulpflicht notwendig ist, dass Schüler unterrichtet und bewertet werden müssen, dass jemand an einer Hochschule Pädagogik studiert haben muss, um Lehrer sein zu können. Ja, und dass Schüler ohne Druck und Wettbewerb keine Höchstleistungen vollbringen. Es geht nicht darum, ob diese Vorstellungen zutreffend oder hilfreich sind. Wichtig ist nur, dass wir verstehen, dass das alles eben nur Vorstellungen sind. Und die kann man loslassen und durch andere ersetzen, wenn man das will, weil man es für notwendig und sinnvoll erachtet.

Allerdings wird niemand einen neuen Weg einschlagen, sondern lieber auf den alten bewährten und gut beschilderten Straßen bleiben, solange er nicht weiß, was da auf ihn zukommt. Solange er keine Vorstellung davon hat, wohin dieser neue Weg führt und er nicht davon überzeugt ist , dass es ihm dort besser geht, dass er ihn unbeschwerter, freier, glücklicher beschreiten kann. Deshalb macht Gerald Hüther am Ende dieses ersten Teils auch einen sehr einfachen Vorschlag, was in Zukunft aus dem wird, was wir heute noch Schule nennen. Wie dieser Vorschlag umgesetzt werden kann, soll hier noch nicht verraten werden. Aber das, was dabei entsteht, muss ja für alle Beteiligen leichter und beglückender sein, sonst würde sich ja auch niemand auf den Weh dorthin machen.

Im dem von Mitch Senf und Michael Heinrich verfassten zweiten Teil dieses Buches geht es dann um die praktische Umsetzung. Und hier wollen wir nicht zu viel vorwegnehmen und Sie lieber überraschen. Denn in Wirklichkeit hat dieser Wandel in Richtung Zukunftsfähigkeit unseres Bildungssystems ja schon längst begonnen. Allerdings nicht oben, in den Köpfen und Verwaltungsstuben derjenigen, die für das zuständig sind, was in unseren Schulen passiert, sondern unten, vor Ort. Auch in Schulen, aber vor allem dort, wo jede Art von Bildung für ein gelingendes Leben einzig uns allein stattfinden kann: mitten im Leben. Freilich noch längst nicht überall im Land, aber von der breiten Öffentlichkeit und den Medien weitgehend unbemerkt sprießen diese innovativen Projekte und Initiativen wie Pilze aus vielen ausgetrockneten oder zubetonierten Bildungslandschaften. Leicht haben sie es nicht. Aber solange sie noch nicht genau überwacht und kontrolliert werden, kann dort noch in Ruhe ausprobiert werden, wie es geht. Wie es möglich ist, Kinder und Jugendliche so auf ihrem Weg in die Welt zu begleiten, dass sie später einmal in der Lage sind, mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit der Vielfalt lebendiger Lebensformen anders umzugehen als wir heutige  Erwachsene und unsere Eltern und Großeltern dazu imstande waren: menschlicher, verantwortungsbewusster, achtsamer, weitsichtiger und vor allem liebevoller.

Diesen jungen Kreativen gehört die Zukunft. Für sie, aber auch für alle Erwachsenen, die unsere Kinder und Jugendlichen auf den Weg dorthin – auch mit dem Kopf, aber vor allem mit dem Herzen – begleiten wollen, haben wir dieses Buch geschrieben,

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Redaktionsleitung: Christoph Lang, Nadja Hillgruber

Redaktionelle Gestaltung und Umsetzung: Nadja Hillgruber

Bildnachweis und Text: © Nature Flow, Gerald Hüther

Das digitale Fachblatt “Nature Flow” ist in seinem 11. Erscheinungsjahr unter dem Dach der Feuervogel Genossenschaft für Naturpädagogik in der Schweiz

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