

Momentaufnahme: Max schlägt sein Buch auf. Eine Ameise krabbelt über seine Finger. Er beobachtet wie sie einen Weg sucht, um weiterzukommen. Sie läuft vor und zurück. Seine Augen verfolgen die Ameise und seine Ohren lauschen den Worten der Lehrerin. Marie hebt einen kleinen Stock vom Boden auf und fährt mit ihren Fingerkuppen sanft über die Oberfläche. Sie spürt die raue Rinde, pickst sich an dem kleinen Ast, der seitlich hervorragt und hört währendessen aufmerksam zu, was ihre Mitschüler der Lehrerin antworten. Der Unterricht findet heute draussen statt. Die Wahrnehmung der Kinder geschieht einfach, ohne besondere Anstrengung sind ihre Sinne wach und nehmen alles um sich, wie selbstverständlich auf. Die Vögel zwitschern, das Sonnenlicht bricht durch die Baumkronen und wirft Schattenspiele auf den Boden. Frau Keller, die Lehrerin erlebt ihre Klasse neugierig und kann mühelos, ohne störende Unterbrechungen den Schulstoff unterrichten. Die lebhafteren Kinder sind ausgeglichen und die ruhigen Kinder werden mutiger. Sie erlebt ihre Klasse aufmerksam und motivierend. Sie kehren zufrieden und begeistert in ihr Klassenzimmer des Schulhauses zurück.
«Kinder sollen einen Bezug zur Natur bekommen und in die Natur gelockt werden»
Wir treffen Lea Menzi von SILVIVA, Projektleiterin und Koordinatorin des Gesamtprojektes «Draussen unterrichten» in Zürich. Frühling heisst Bewegung, alles wächst und gedeiht und das Projekt «Draussen unterrichten» möchte aus Sicht von SILVIVA eine Bewegung initiieren. «Kinder sollen einen Bezug zur Natur bekommen und in die Natur gelockt werden», sagte uns Lea Menzi gleich zur Begrüssung im Gespräch.

Das Projekt hat einen besonderen Nerv getroffen. Die Schüler der Pädagogischen Hochschule haben den Wunsch an die Kursleiterin Sarah Wauquiez geäussert, dass sie gerne ein Buch zu allen Schulfächern haben wollen, mit denen sie in die Natur hinausgehen gehen können. So ist die Projektidee für das Buch «Draussen unterrichten» entstanden.
Das Gesamtpaket «Draussen unterrichten» von der Stiftung SILVIVA
Die Stiftung SILVIVA ist die Herausgeberin des Buches und geschrieben wurde es von den Autorinnen Sarah Wauquiez, Marina Henzi und Nathalie Barras. Angesprochen werden Schulen, Pädagogen, Eltern, Gemeinden, Hochschulen und Ausbilder von Lehrpersonen, die in einer authentischen Umgebung, die unmittelbare Umwelt zeigen, schätzen und respektieren lernen wollen. Das Buch bietet die Grundlage für ein umfangreiches Projektpaket, dem Weiterbildungen an der Pädagogischen Hochschule und anderen Institutionen angehören. «Ziel ist es, dass die Lehrer, die Lerninhalte selbst durchführen und anwenden können», sagte Lea Menzi, «wir sehen unsere Rolle darin, die Lehrer auszubilden.» Es gibt bereits in der Romandie und in der

Deutschschweiz Pilotschulen, die das Projekt «Draussen unterrichten» praktisch umsetzen wollen. Die Stiftung SILVIVA begleitet den Prozess der Schulen, in dem sie zusammen mit den Lehrern eine Analyse erstellt. Es wird untersucht, welche Elemente, Methoden und Praktiken bereits vorhanden sind und eingesetzt werden. Ein weiterer Aspekt, der in die Analyse einfliesst, ist das natürliche Umfeld, welches von der Schule genutzt werden kann, wie Parks, Wald, Fluss, Wiese, Garten oder Hecken. Gemeinsam mit den beratenden Schulen wird Lea Menzi Visionen und Ziele formulieren und sie auf diesem Weg begleiten.
Aktionswoche mit dem WWF Schweiz und Partnerorganisationen
In Zusammenarbeit mit dem WWF Schweiz, der Partnerorganisation, gibt es in der Woche vom 17.-21. September die Aktionswoche «Ab in die Natur – Draussen unterrichten». Schulklassen und Kindergartengruppen sind eingeladen, daran teilzunehmen und eine Woche im Freien zu lernen. Dazu können sich Kindergärten und Schulklassen bis 6. Klasse anmelden. Die Woche gibt ihnen die Chance Unterricht im Freien zu erfahren oder sein Repertoire zu vergrössern. Während dieser Woche werden die Klassen mit diversen Unterrichtshilfen, angepasst an den Lehrplan 21, unterstützt. Ausserdem werden persönliche Gespräche beratend von Fachexperten des ERBINAT Verbandes «Erleben & Bildung» angeboten. «Bis zum heutigen Tag sind es bereits über 300 Schulklassen, die von diesem Angebot profitieren möchten.», sagte Lea Menzi.
Lernen am realen Objekt
Gerald Hüther hat das Geleitwort für das neue Handbuch geschrieben. Er beschreibt die Natur als Quelle für Freiheit, Unmittelbarkeit, Widerstandsfähigkeit und Bezogenheit für Kinder. Lea Menzi meint, wir haben es den Kindern zwar nicht weggenommen, jedoch mit Eintritt in die Schule, wird ihnen ziemlich fest vorgegeben, was sie zu tun haben. «Hier finde ich es wichtig, verschiedene Lernräume einzubeziehen. Lernen am realen Objekt unterstützt die Bezogenheit bei Kindern. Auf einem Bild kann viel weniger Bezug hergestellt werden, als wenn sich das Kind dies vor Ort anschaut, riechen, fühlen und hören kann.», sagte Lea Menzi.
Im Interview mit Lea Menzi, Projektleiterin „Draussen unterrichten“ bei SILVIVA
Vorurteile lösen sich auf
Wer sich dem Gesamtprojekt «Draussen unterrichten» aufmerksam widmet, wird schnell merken, dass die Herausgeber sachlich fundiert mit den Vorurteilen vom «Draussen unterrichten» aufräumen. Jeder der in seiner Kindheit viel in der Natur unterwegs sein durfte, hat sicherlich schöne Erinnerungen daran. Menschen, die dem Projekt dennoch skeptisch gegenüberstehen, werden in dem Buch wichtige und viele Argumente und Hinweise zu Studien finden, die die Vorteile vom Lernen im Freien untermauern. «Lernen geht über die Strukturen und Rahmenbedingungen hinaus und mit unserem Handbuch wollen wir die Möglichkeit schaffen, den Lernraum Natur kennenzulernen.», sagte Lea Menzi, «Uns geht es um die Erwachsenen, denn die Kinder, würde man sie lassen, würden viel Lernzeit draussen verbringen. Wir informieren über die Vielseitigkeit, wie Kinder draussen unterrichtet werden können.»
Draussenschule ist eine Vision, die von motivierten Lehrpersonen in Dänemark und Norwegen zu entsprechenden Schulreformen geführt hat
Draussenschule ist eine Vision, die von motivierten Lehrpersonen in Dänemark und Norwegen zu entsprechenden Schulreformen geführt hat. In diesen Ländern wurde der Unterricht im Freien in den Lehrplan aufgenommen und wird finanziell unterstützt. Ähnliche Entwicklungen gibt es in anderen skandinavischen Ländern und in England und Schottland. Auch die Vision von SILVIVA geht weiter. «Wir stellen uns vor, die Lernräume auszuweiten. Das ganze Dorf kann in den Draussenunterricht integriert werden, der Bäcker, Museen, Handwerksbetriebe und die Gemeindearbeit.», sagte Lea Menzi. Bis zu den 6. Klassen steht die Natur im Vordergrund der Schulzeit. Bereits ab dem 2. Zyklus (ab der 4. Klasse) kann auch die Mitwelt als Lernraum miteinbezogen werden.
Das Buch wird an die Lehrpläne der Nachbarländer angepasst
Das Buch ist an den Lehrplan 21 in der Schweiz angepasst und aufgebaut. Die Kompetenzbereiche und Themenaspekte, die pro Stufe hineingehören, sind in dem praktischen Teil erfasst. Passend zum Lehrplan 21 wurden Aktivitäten gesucht und definiert. Es war wichtig den Bezug zum Lehrplan festzulegen. «Wir mussten uns entscheiden bis in welche Tiefe wir die Bereiche codieren. Nicht ganz an der Oberfläche und nicht ganz in die Tiefe.», sagt Lea Menzi. Schaut man über die Ländergrenzen zu den angrenzenden Nachbarn, so wird bei ihnen nach anderen Lehrplandefinitionen gearbeitet, beispielsweise hat uns die Projektleiterin und Koordinatorin gesagt, dass für Deutschland bereits an einer Ausgabe gearbeitet wird, die dem deutschen Lehrplan entsprechen wird. Ebenfalls arbeitet der Verlag in der Romandie, La salamandre an einer Ausgabe für Frankreich. Auch andere Nachbarländer haben ihr Interesse bekundet.
Einladung, die Chance zu ergreifen
Mit dem Gesamtprojekt «Draussen unterrichten» ist es SILVIVA mit ihren Partnerorganisationen gelungen, einen positiven und bemerkenswerten Prozess zu initiiren. Der Funken soll entfacht werden, die Begeisterung für das im Freien lernen ausgelöst werden. «Es ist die Chance, einmal auszuprobieren, ob es funktioniert, um es dann anderen Kollegen und Schulleitungen weiterzuempfehlen.», sagt Lea Menzi. Um das Unterrichten im Freien kennenzulernen, braucht es keine besonderen Voraussetzungen, sondern lediglich neugieriges Interesse und die Bereitschaft sich mit dem Thema «Draussen unterrichten» auseinanderzusetzen.

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