Die grossen Sommerferien rücken näher und haben wir nicht alle Kindheitserinnerungen wie diese? An Tage, die man draussen verbrachte, ohne Erwachsene? Tage, an denen man an der Tür des Nachbarkindes klopfte um einfach zu fragen: “Kommst du mit, spielen?” Und das andere Kind meistens Zeit hatte?
Wir zogen los, spielten bis die Sonne unterging…
Wir zogen los, spielten bis die Sonne unterging. Die Hosentaschen waren prall gefüllt mit den Schätzen des Tages, die einzeln für sich etwas ganz besonderes waren, gerade in dem Moment der Entscheidung, als sie in die Tasche gesteckt wurden. Zu Hause angekommen, wurden sie in die Schatztruhe gesteckt oder zu den anderen Schätzen ins Regal gestellt.
Hosentaschen, Jackentaschen sind eins, wie das andere. Sie sind mit allem möglichen Krimkrams gefüllt. Krempeln wir mal die Taschen um und schauen was sich darin alles findet. In Hosentaschen von Waldkindern finden sich oft ganz erstaunliche Dinge, wie Steine, Federn, Schneckenhäuser, Kastanien, Sand und verklumpte Taschentücher. Es ist jedes Mal eine Überraschung! Kritisch wird es, wenn es sich noch bewegt und bei näherer Betrachtung ein Regenwurm zu Tage kommt. Von Jahr zu Jahr verändern sich jedoch die diversen Hosentaschenobjekte, die bei den Kindern gefunden werden. Jeder Schritt in der Entwicklung birgt für besonders wertvolle Schätze in den Taschen, die für die Phantasie und Kreativität der magischen Welt sprechen, in der die Kinder unterwegs sind. Aus Steinen, Kastanien und Rinden wurden bunte Murmeln, Knöpfe, Reste von Blink- oder Rücklichtern oder bunte Fäden und Schnipselpapier. Die Gegenstände lassen uns an der geheimnisvollen Welt in der sich die Kinder bewegen, als stiller Beobachter teilhaben. Wir merken, wie viel von dieser geheimnisvollen Welt auch in uns steckt.
Jeder Schritt in der Entwicklung birgt für besonders wertvolle Schätze in den Taschen, die für die Phantasie und Kreativität der magischen Welt sprechen, in der die Kinder unterwegs sind.
Es sind Momentaufnahmen und ein Portrait des Hosentaschenbesitzers. Neugierig und unverblümt frage ich im erwachsenen Kreis bei anderer Hosentaschensammler nach, was sich für geheimnisvolle Schätze bei ihnen finden lassen. Die einen packen offenherzig alles aus. Da ist das liebe Taschentuch immer greifbar, Krümel und Brösel vom süssen Stückchen von unterwegs. Verschrumpelte Kastanien und schöne Muscheln. Runde und herzförmige Steine. Die Hundefrauchen finden Leckerlis und Kotbeutel auf der einen Seite und auf der anderen sind es Eicheln und Lärchenzapfen. Es gibt auch die, die in jeder Jacke etwas anderes haben, das ihnen in einem unangenehmen Moment beim Ertasten ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität geben. Wie ein kleines Ritual haben alle Schätze etwas gemeinsam: Die Erinnerung, die wie ein Anker in der Tasche, Vertrautheit schenkt. Erschaffe dir leidenschaftliche, glückselige Momente, soviel wie es geht.

Wir fragen Sabine Simeoni, die Autorin von «Wildes Naturhandwerk», die mit ihrem Buch dazu aufmuntert Schätzen aus der Natur handwerklich zu verwenden.
Infothek Waldkinder: Was hast du gerade in der Hosen- bzw. Jackentasche? Leerst du sie für uns aus?
Sabine Simeoni: Gerade trage ich eine Beifussblüte bei mir, einen Kieselstein, den mir meine Enkelin geschenkt hat, eine Baumperle und kleine Zweige einer alten Eiche…

Die Kindheit ist geprägt von Sachen suchen, Sachen finden und Sachen tauschen. Welche Urbefürfnisse meinst du sind das?
Das Bedürfnis neue Dinge zu entdecken und erforschen. Die Neugierde und Begeisterung für neue Formen, Materialien, Verbindungen, Vergänglichkeiten und kindliche Vorstellung von Ästethik. Für Kinder ist ein Stock oder ein Stein soviel mehr als das; es sind magische Dinge, Zauberstäbe, Tiere, Schwert, Musikinstrumente….die Liste lässt sich unendich fortsetzen. Ein gefundener Gegenstand regt die Phantasie und Kreativität von Kindern sofort an, manchmal auch noch bei Erwachsenen. «Warum spricht denn genau dieses Schneckenhaus ausgerechnet dieses Kind an und bleibt von anderen unbemerkt?» Diese Frage habe ich mir erst kürzlich gestellt. Ich bin mit einer Kindergruppe (Vorschulkinder) über ein Feld gelaufen. Das leere weiße Haus einer Schnecke lag auffälig leuchtend zwischen einigen Ästen.
Ich habe ihn nicht gefragt, was er damit machen möchte, aber dieser Augenblick war sehr magisch und ich habe deutich gespürt, dass für diesen Jungen das Schneckenhaus einen ganz besonderen Wert darstellte…
Die Kinder hoben sich Äste auf oder liefen weiter, bis auf einen kleinen Jungen, er kniete sich und nahm das Schneckenhaus ganz vorsichtig in die Hände, untersuchte es ganz genau von allen Seiten, schaute sich suchend nach mir um und als sich unsere Blicke trafen strahlte er mich an und steckte sein Fundstück behutsam in die Hosentasche. Ich habe ihn nicht gefragt, was er damit machen möchte, aber dieser Augenblick war sehr magisch und ich habe deutich gespürt, dass für diesen Jungen das Schneckenhaus einen ganz besonderen Wert darstellte. Vielleicht finden Kinder noch ganz intuitiv in der Natur die Dinge, die sie gerade brauchen…. Ich denke, das Suchen,Sammeln und Tauschen ist ein Instinkt aus unserer Zeit als Jäger und Sammler, unsere tiefsten Urbedürfnisse haben sich ja nicht verändert. Meine Enkelin ist gerade 17 Monate und sie sammelt mit großer Begeisterung Steine, Schneckenhäuser, Äste usw. Sie stopft alles in ihre Taschen und wenn wir wieder daheim sind, beginnt sie mit einer solchen Freude und lautem Jauchzen ihre Sammelstücke aus den Taschen aus zu leeren und vor sich aufzulegen.

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Wie war das früher bei dir, welche Sachen hast du gesammelt? Kannst du dich noch daran erinnern? Welche Erinnerungen verbindest du damit?
Ich habe immer Pflanzen gesammelt und getrocknet. Mir hat es große Freude bereitet Pflanzenbücher (Herbarien) anzulegen und die Pflanzen mit schönen Zeichnungen zu beschreiben. Federn habe ich immer zu Schmuck verbastelt, weil ich gerne eine Indianerin sein wollte. Aus dem Urlaub habe ich Kisten voll mit Muscheln, Steinen und geschliffenen Glasscherben mitgebracht (mache ich übrigens immer noch). Einmal bin ich als etwa 6-jährige sammelnd, mit der Nase am Boden immer am Strand entlang gelaufen und habe dabei Zeit und Raum völlig verloren. Irgendwann habe ich bemerkt, dass ich schon sehr weit von unserem Patz entfernt hatte und ich in einer anderen Umgebung war. Ich muss damals stundenlang absolut vertieft und selbst vergessen mit meiner Tasche voller Schätzen unterwegs gewesen sein. Meine Eltern hatten schon längst einen Suchtrupp ausgesendet…Ich wurde auch kurz darauf entdeckt und die vielen Kilometer zurück gebracht. Von da an trug ich für den Rest des Urlaubs eine Kettemit einem Anhänger um den Hals auf dem unsere Haus-Adresse stand.
Weshalb ist es für Kinder so wichtig ihre Naturschätze sammeln zu dürfen und auch aufzubewahren?
Selbstgefundenes ist selbst entdeckt und alleine ausgesucht! Sie haben es selbst gefunden und es ist oft auch eine schöne Erinnerung oder eine Assoziation an eine Begebenheit. Kinder erfahren dadurch ein Stück Selbstwirksamkeit. Und sie verbinden Geschichten mit den Gegenständen! In unserem Camp gibt es ein Naturregal für die Fundstücke der Kinder. Ich finde es phantastisch zu verfolgen, wie wichtig es ist, dieses Regal ordentlich zu sortieren, Fundstücke zu begutachten, ab und an mal ein besonderes Stück mit nach Hause nehmen zu dürfen oder oft versammeln sich Grüppchen davor und es werden Geschichten darüber ausgetauscht. Ja, diese Sammelstücke im Camp tragen tatsächlich zu sozialen Kontakten bei! Denn auch Besucher bleiben sofort daran hängen und sind sehr interessiert.
Kinder erfahren dadurch ein Stück Selbstwirksamkeit…
Mit vielen Naturmentoring-Gruppen mache ich auch gerne Redekreise aus den gesammelten Materialien im Wald. Vor allem wenn Kinder dabei sind, die sich nicht so ganz leicht in der Gruppe, im Kreis mitteilen können. Es ist immer so, dass jedes Kind über seine Fundstücke etwas zu erzählen hat und wir reden dann im Kreis auch gerne über kreative Ideen zu denen die Materialien verwendet werden könnten. Das macht eine Gemeinschaft lebendig, soziales Miteinander entsteht, kleine “Tauschgeschäfte” werden gemacht und ganz oft bringen Kinder auch Gegenstände mit, die sie vor langer Zeit irgendwann gesammelt haben, um sie zu zeigen oder auch etwas damit zu basteln. Das finde ich immer besonders spannend, denn diese Wertschätzung einfacher Steine oder Hölzer etc. zeigt uns doch eigentlich schon ganz genau, wie essentiell wichtig Kindern diese Gegenstände sind.

Sie sprechen wahrscheinlich ein archaisches Bewußtsein in den Kindern an, ein Bewußtsein welches wir alle in uns tragen, doch bei vielenErwachsenen meist verschüttet ist. Da fält mir noch eine kleine Geschichte von einem Jungen aus der Waldgruppe ein. Er hatte ein großes Herz für Tiere und hat tatsächlich Kröten, Spitzmäuse und etliche Frösche in die Jackentasche gepackt, um diese mit nach Hause zu nehmen. Auf meine Frage, warum er die Tierchen denn nicht lieber im Wald lassen wollte, wo sie doch zu Hause sein, antwortete er, sie seien alle so süß und er würde sich um sie kümmern, damit sie nicht von größeren Tieren gefressen werden würden. Wir schauten wirklich immer in seine Taschen, bevor er abgeholt wurde und fanden nicht selten lebendige Sammelstücke!
Wenn du dich selbst beobachtest, was meinst du, hat das Sammeln von Steinen, Federn, Muscheln oder Stöcken mit Herzensbildung zu tun?
Es ist die persönliche Wertschätzung Dingen gegenüber, die für andere vielleicht wertlos sind. Die zunehmende Achtsamkeit und Wahrnehmung, die ich durch das genaue Hinschauen vertiefe. Das wirkt sich auf alle Bereiche meines Lebens aus. Bekommen Kinder die Zeit, die sie brauchen, um Dinge genau zu betrachten, zu ertasten und zu erforschen, werden sie ihrer Umwelt gegenüber achtsamer und natürlich lernen sie auch ganz viel über Materialien, Formen, Strukturen, usw. Das ist eine ganz wichtige Herzensbildung, um später in den kleinen Dingen des Lebens sein Glück finden zu können…
…und mit dem Loslassen? Wie hilft hier die Vergänglichkeit mit Naturmaterialien etwas wieder loszulassen gegenüber strukturierem Spielmaterial? Oder gibt es keine Unterschiede?
…und auch den Zyklus des Lebens nach zu empfinden. Alles ist vergänglich und der Veränderung unterworfen, eine Tatsache, die in unserer modernen Gesellschaft, die schnell altes oder kaputtes durch neues ersetzt, leider nicht mehr anerkannt wird. Ich glaube, das es ganz wichtig ist, sich wieder darauf zurück zu besinnen und sich zu erinnern. Natürliches Spielmaterial ist einzigartig, nicht nach DIN vorgefertigt und nicht nachkaufbar. Das macht Vergänglichkeit er fahrbar.

Statt Sammelstücke aus den Ferien oder von Spaziergänggen in Kisten zu horten und manchmal über Jahre vertauben zu lassen, ist es doch schöner sie naturhandwerklich zu bearbeiten. Was meinst du?
Ja! Mit die schönsten Erinnerungen sind für mich das Heimkommen von einem Urlaub oder Ausflug und dann das gemeinsame Basteln und Werkeln mit den Sammelstücken. Oder Dinge daheim zu platzieren, die die Kinder schon während der Urlaubszeit verbastelt haben. Zusammensitzen und Erlebnisse noch einmal vorbei ziehen zu lassen und Geschichten zu erzählen. Oft liegen aber auch Sammelstücke eine Zeit lang in der Kiste und plötzlich weißt du, genau das Stück brauche ich jetzt! Meistens aber werden Dinge gesammelt und Kinder wissen sofort was daraus werden könnte!
Jedes Werkstück steckt meist voller Erinnerungen. Mit wem hast du früher aus deinen Sammelstücken etwas gewerkelt?
Ich habe viel mit meinem Opa gebastelt, er hat einfach aus allem was gemacht! Er hatte eine Scheune voller Fundstücke und hat auch wirklich jedes Stück Holz oder jede Feder wertgeschätzt. Er steckte voller Ideen und hatte immer etwas zu basteln. Mit einem Jungen aus der Nachbarschaft habe ich auch viel gewerkelt. Irgendwann haben wir uns eine richtige Hütte zwischen Baumstämme gebaut und von da an hatten wir einfach für alles Verwendung…wir sind sogar mit einem alten Kinderwagen durch das Dorf gezogen und haben Ausschau nach Gegenständen gehalten, die wir brauchen konnten.

Mit liebevoller Unterstützung entstehen einfache Objekte aus den Naturmaterialien. Warum meinst ist dieser Schaffensprozess für Kinder so wichtig?

Viele Kinder kommen nicht mehr von der Idee zum Tun, da sie irgendwann gelernt haben, das was rauskommt wird bewertet. Entweder ist es gut oder schlecht. Oder Erwachsene greifen in ihr Tun ein und lenken den Schaffensprozess. Dabei wird schnell vergessen, dass Kinder andere Masstäbe und eigene Vorsellungen haben. Sie erkennen in ihren Fundstücken häufig komplett andere Dinge als Erwachsene darin sehen können. Über das Tun erfahren und erlernen KInder nicht nur kognitive und motorische Fähigkeiten, sondern sie lernen auch Selbstvertrauen in ihr eigenes Geschick. Zudem unterscheiden Kinder nicht zwischen Spiel und Arbeit, was sie mit Leichtigkeit lebenstüchtige und praktische Fähigkeiten ganz nebenbei erlenen lässt.
Wer weiss, welche Fundstücke du dieses Jahr von deinem Sommer mitbringen wirst. Freust du dich darauf?
Ja! Und nicht nur ich bin eine Sammlerin, auch mein Mann hat ein großes Sammlerherz!
Redaktionsleitung: Christoph Lang, Nadja Hillgruber
Redaktionelle Gestaltung und Umsetzung: Nadja Hillgruber, www.infothek-waldkinder.org
Bildnachweis: Fotografie © Infothek Waldkinder
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