“Die Rettung liegt im Leben selbst und sie eröffnet sich durch die Kraft der Liebe“

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Das komplette Gespräch zwischen Martin Winiecki und Christoph Lang im Videoformat

“Die Rettung liegt im Leben selbst und sie eröffnet sich durch die Kraft der Liebe”

Das Gespräch als Podcast

Christoph Lang im Gespräch mit Martin Winiecki (im Textformat)

Christoph Lang   Ja. Hallo liebe Leute, wir sind vom Nature Flow” vom Feuervogel und sind heute mit Martin Winiecki zusammen und können mit ihm ein interessantes Gespräch führen über die Situation, in der wir gerade stecken. Ich freue mich sehr, Martin wieder zu treffen. Wir haben uns letztes Jahr in Sulzbrunn am Symposium “Rebellen des Friedens” kurz kennen gelernt. Es waren so viele Leute da, wir haben nicht viel Zeit gehabt, zu erzählen und auch dort haben wir schon über das Thema “Wetiko” sprechen wollen, dass heute Thema sein wird. Ich freue mich sehr, dass es jetzt im Nachhinein klappt.Herzlich Willkommen und Hallo Martin.

Martin Winiecki   Hallo und vielen Dank.

Christoph Lang    Ja. Wir unterhalten uns heute über deinen Artikel, den du vor kurzem veröffentlicht hast und der uns sehr berührt hat. Mit dem Thema Wetiko – die Suche nach dem Antivirus, COVID-19 als Quanten-Phänomen”. (Englische Originalfassung erschien am 13. April im „Kosmos Journal”) Und da wollen wir eigentlich in das Thema einsteigen. Doch bevor wir das machen, wäre ich froh, wenn du uns ein bisschen erzählen kannst wer du bist, wo du bist und was deine Forschungen betrifft. Dass wir da ein bisschen von dir hören.

https://www.tamera.org/de/martin-winiecki/
https://www.tamera.org/de/martin-winiecki/

Martin Winiecki  Ja, ich lebe und arbeite in Tamera, einer internationalen Gemeinschaft und einem Friedensforschungszentrum in Portugal. Eigentlich habe ich mein ganzes Erwachsenenleben in der Gemeinschaft verbracht und leite sozusagen oder koordiniere in Tamera die internationale Netzwerkarbeit und schreibe, bin Aktivist und habe mich in den letzten Jahren stark dem Aufbau einer internationalen Allianz unter dem Stichwort “sacred activism”, heiliger Aktivismus, gewidmet. Wir nennen sie “The defend the sacred alliance”.

Christoph Lang  Sehr gut. Super. Tamera ist vielleicht manchen Leuten ein Begriff, aber da kann man auch sehr gut nachforschen. Ihr habt auch eine tolle Homepage, tolle Aktivitäten die man auch im Internet sehen kann. Und ihr seid ja nicht nur Internet-basiert, aber gerade jetzt ist es eine gute Möglichkeit, um mal einzusteigen und euch kennen zu lernen. Dann würde ich mich freuen, mit dir ins Thema einzusteigen. Du hast versucht, diese COVID19- oder Corona-Krise, in der wir sind, etwas anders zu betrachten. Du hast versucht, ein Muster darin zu erkennen und die Gründe zu verstehen, warum das alles so passiert ist, wie es jetzt ist. Mir scheint, es ist eine recht komplexe Analyse geworden. Was ist deiner Ansicht nach sozusagen der spirituelle und ganzheitliche Hintergrund hinter der Krise?

Martin Winiecki  Ja, eine grosse Frage.

Martin Winiecki  Und es stimmt, der Artikel ist sehr lange geworden. Je länger ich darüber nachgedacht habe, bin ich so in eine bestimmte Komplexität reingekommen. Ich möchte zuallererst sagen, dass es für mich ein Phänomen ist, was nicht so in einem Wort zu sagen ist. Es ist tatsächlich eine bestimmte Komplexität in dieser aktuellen Situation. Und es ging mir auch so, als das alles anfing und die Medien über Corona berichtet haben, ich habe das immer so durchgespielt und habe nachgeforscht und habe gemerkt, bei jeder Theorie wo ich so denke «Jetzt habe ich irgendwie ein Verständnis», kam danach irgend eine andere Information und ich hatte irgendwann das Gefühl, es ist ganz schwer irgendwie durchzusteigen. Und so kam ich auf eine Spur, wo irgendwann der Gedanke aufkam, dass dies vielleicht ein Phänomen ist, was sich dieser Art von schnellen Erklärungsversuchen und Definitionen ein Stück weit entzieht. Also wo man nicht sagen kann «Das ist eindeutig so und so».  Und dadurch, durch diese Art von Gedanken bin ich auf eine Spur gekommen. Eben, in dem Artikel heisst eine Überschrift “Quantenphänomen”, was jetzt natürlich gewisser Weise ein modischer Begriff ist, jedoch meine ich damit ein eher spiritueller Gedanke. Also C.G. Jung zum Beispiel hat vom symbolischen Charakter der Welt gesprochen. Und genau so gibt es in der Quantenphysik diesen Beobachtereffekt, wo ein Elementarteilchen nicht einfach als Ding an sich in einer bestimmten, festen Form existiert, sondern wo es abhängig davon, wie wir es beobachten, entweder als Welle oder als Teilchen erscheinen kann.

Dass die Ereignisse der Welt nicht einfach unabhängig von unserem Bewusstsein, unserem inneren Zustand existieren, sondern Ausdruck sind und die Art, wie wir sie beobachten, immer eine Reflexion des inneren Vorgangs sind

Also was ich damit sagen will ist, dass die Ereignisse der Welt nicht einfach unabhängig von unserem Bewusstsein, unserem inneren Zustand existieren, sondern Ausdruck sind und die Art, wie wir sie beobachten, immer eine Reflexion des inneren Vorgangs sind. Und das ist für mich eigentlich ein Gedanke, der dann immer zwingender wurde in der Betrachtung des ganzen Corona-Phänomen. Weil man auch sehen kann, dass das was gerade mit COVID19, mit dem Coronavirus passiert, ist neben allem anderen ein kollektiver psychodynamischer Effekt ist, könnte man sagen. Also es wird wahnsinnig viel an unterbewusstem Material an die Oberfläche gespült. Das ist leider nicht immer ein bewusster Vorgang. Aber sehr viele Dinge, die unter der Oberfläche des menschlichen Bewusstseins schlummerten – eben ganz viel Angst zum Beispiel, ganz viel apokalyptische Erwartungen, aber auch Impulse für Hilfe, für Erneuerungen – all das kommt jetzt an die Oberfläche. Ja. Vielleicht das erstmal als allerersten Gedanken. Und wir können da noch tiefer reingehen, ich kann jetzt nicht auf das ganze Essay eine Antwort geben.

Christoph Lang  Nein, nein. Das ist doch auch gut, es geht ja auch darum, das stückchenweise aufzudrüseln. Weil ich denke, dass es so komplex ist, habe ich versucht, gewisse Fragen vorzubereiten. Damit wir eben die Leute oder euch auch mitnehmen können in diese komplexe Gedankenwelt. Eben, du hast ein Wort in der Überschrift ist “Wetiko”. Und ich denke, dass die wenigsten Leute was damit anfangen können. Vielleicht kannst du da erklären, was das ist. So kommt vielleicht dieser Urgrund ein bisschen zum Tragen, wie du auch anfängst zu erklären. Was ist “Wetiko”?

«Was ist an der Wurzel des Problems, das wir auf der Welt sehen? Was ist an den Wurzeln von Ungleichheit und Kapitalismus und dem psychischen Leiden, was wir in unseren Gesellschaften haben?»

Martin Winiecki  Ja, “Wetiko” ist für mich ein sehr wichtiger Begriff, weil er unsere Analyse dessen, was in der Welt passiert, meiner Meinung nach vertieft. Und weil er eine bestimmte Multidimensionalität in unserem Denken erlaubt. Also wenn ich sage – ich komme jetzt mal nicht von (der) Corona(seite), sondern von einer anderen Seite – wenn ich frage «Was ist an der Wurzel des Problems, das wir auf der Welt sehen? Was ist an den Wurzeln von Ungleichheit und Kapitalismus und dem psychischen Leiden, was wir in unseren Gesellschaften haben?» Dann kann ich aus einer linken Perspektive sagen: «Kapitalismus!». Und das ist eine wichtige Analyse. Für mich war sie unglaublich wichtig zu verstehen, dass es ein politisches und ökonomisches System gibt, was nach bestimmten Regeln gebaut ist und deswegen zu sozialer Ungleichheit, zu Ressourcenübernutzung, zu Umweltzerstörung, auch zu der Vereinzelung und Vereinsamung der Menschen führt und so weiter. Und trotzdem ist es eine Analyse, die das Innere des Menschen noch nicht in seiner vollen Tiefe erfasst. Und deswegen ist für mich dieser Begriff des “Wetiko” so spannend, weil es ein Wort ist, was aus der Sprache der Algonkin stammt, eines indigenen Stammes aus Nordamerika, die mit der Invasion der Europäer einen Begriff geprägt haben für die Krankheit des weissen Mannes.

dieser Begriff des “Wetiko” so spannend, weil es ein Wort ist, was aus der Sprache der Algonkin stammt, eines indigenen Stammes aus Nordamerika, die mit der Invasion der Europäer einen Begriff geprägt haben für die Krankheit des weissen Mannes

Also sie haben nicht einfach gesagt «Das sind einfach die Weissen». Sie kannten eine psychische Krankheit, die extrem selten war in ihren eigenen Reihen. “Wetiko” heisst wörtlich Kannibalismus. Also “Wetiko” ist die psychisch-seelische Krankheit eines Menschen, der aus der Verbindung zur Gemeinschaft, aus der Verbindung zum Lebensganzen herausfällt und deswegen eine Besessenheit der Anhäufung von Profit und Eigennutzen entwickelt und dadurch unfähig wird, Anteilnahme und wirkliches Mitgefühl für andere Wesen zu empfinden. Also es ist eigentlich der Kult einer Selbstbesessenheit, kann man sagen. Bei den indigenen Völkern war das eben ein ganz seltenes Phänomen, aber sie kannten es. Und auf einmal kamen Menschen aus einer Kultur zu ihnen, die sich dieser Krankheit nicht bewusst waren, weil sie unter ihnen einen Kollektivcharakter hatte. Und für mich ist “Wetiko” inzwischen eine viel greifendere Analyse dessen, was auf einer systemischen Ebene vielen oder eigentlich fast allen von unseren Krisen zugrunde liegt, als zum Beispiel die des Kapitalismus. Und was für mich eben jetzt in dieser ganzen COVID19-Welle, diesem globalen Phänomen, was wir jetzt gerade sehen, so bezeichnend ist, dass einerseits “Wetiko” von indigenen Gelehrten, also zum Beispiel Jack D. Forbes mit seinem Buch «Columbus and other Cannibals», (untersucht wird). Er hat “Wetiko” als ein Virus des Geistes und eine Epidemie in der Menschheit beschrieben. Und wenn man sich anguckt, wie die Menschen auf dieses Coronavirus reagieren, dann finden wir auf einer psychischen und seelischen und sozialen Ebene die ganzen Mechanismen von “Wetiko” wieder. Und irgendwann war für mich der Gedanke eigentlich unausweichlich: «Könnte es sein, dass dieses Coronavirus sozusagen eine psychosomatische Simulation ist? Eine Somatisierung von dieser psychischen Kollektivkrankheit, der wir uns nicht bewusst sind, weil sie eben kollektiv ist und unterbewusst ist und aus unserem Bewusstsein verdrängt wird?». Und dadurch könnte dieser Moment des Coronavirus eine riesige Chance in sich tragen, dass wir uns eines Mechanismus bewusst werden, von dem wir eben bisher einfach blind gesteuert sind.

«Könnte es sein, dass dieses Coronavirus sozusagen eine psychosomatische Simulation ist? Eine Somatisierung von dieser psychischen Kollektivkrankheit, der wir uns nicht bewusst sind, weil sie eben kollektiv ist und unterbewusst ist und aus unserem Bewusstsein verdrängt wird?»

Christoph Lang  Das ist viel Material, viel Gedankengut. Das geht sehr, sehr tief. Es ist natürlich spannend, wenn wir darüber reden, dass wir an Ebene gelangen oder stossen, wo eigentlich im Unterbewussten verankert sind, wo seit Hunderten von Jahren eventuell schon kultiviert werden, hier bei uns in unserer mitteleuropäischen Kultur. Und dem auf die Spur zu kommen ist natürlich gar nicht so einfach. Und da ist jetzt natürlich der Blick von aussen durch Jack D. Forbes und durch die indigenen Völker und Leute da natürlich sehr, sehr gut. Du spinnst natürlich Fäden, Gedankenfäden sozusagen auch zu Leuten, die da versucht haben, das hier auch aufzugreifen. C.G. Jung hast du genannt, oder Franz Renggli, vielleicht auch Wilhelm Reich und so weiter. Und das sind so Ansatzpunkte von Leuten, die auch hier schon in früheren Zeiten oder auch aktuell – also Franz Reggli lebt ja zum Glück noch – dem ein bisschen auf die Spur gekommen sind. Du hast das mit reingenommen. Wie hat dich das auch bereichert, um deinen Blick zu schärfen?

Martin Winiecki   Ja es ist sehr spannend. Ich meine, dieses Wort “Wetiko” ist natürlich der Begriff einer bestimmten Kultur und deswegen denke ich, dass das Phänomen, was beschrieben wird, von sehr viele Menschen, die unter die Oberfläche dieser Zivilisation geschaut haben, sie auch kritisch betrachtet haben, die einen grösseren spirituellen Blick werfen und weiter blicken konnten, waren sich dieses Phänomens bewusst. Also viele Denker, also eigentlich alle, die du gerade genannt hast. Für mich ist Wilhelm Reich ein unglaublich wichtiger Wegbereiter, Vordenker. Er hat dieses Phänomen in seiner Sprache “die emotionale Pest der Menschheit” genannt. Also es ist immer dieser Punkt, wo eine gesellschaftliche Struktur und eine soziale Struktur im menschlichen Zusammenleben ein bestimmtes Bewusstsein erzeugt, auch ganz individuell in der Art, wie die Menschen leben und dadurch, dass das aber Kollektivcharakter hat, wird eine Massendynamik erzeugt, von der die Menschen Teil sind und der sie sich aufgrund des kollektiven und auch normalen Charakters nicht mehr bewusst sind. Und eben, W. Reich beschreibt das in absoluter Tiefe und auch in einem zwingenden Charakter, zum Beispiel in seinem Buch “Die Massenpsychologie des Faschismus”. Das Buch wurde 1933 geschrieben. Es wurde veröffentlicht, also noch bevor Hitler überhaupt an die Macht gekommen ist. Er hat dort den Krieg, der kommen würde und eben auch die Bewusstlosigkeit der Menschen vorhergesagt. Also dadurch, dass im Inneren eine Angst ist, eine Wahrheit ist, die nicht ausgedrückt werden darf, die nicht benannt werden darf, und die sich anstaut. Er beschreibt eben diese Zwiespältigkeit des Charakters des Menschen unter autoritären Verhältnissen. Wo eben viel von der natürlichen Lebensenergie, also auch Sehnsüchten, der Drang nach Neugier, nach Bewegung, nach Sinnlichkeit, nach Sexualität, auch nach Erkenntnis, also diese Lebenstriebe in eine imperialistische Machtgesellschaft nicht hineinpassen. Und so werden diese Impulse, wenn sie sich frei äussern, schon im Kindesalter, durch Strafe oder auch oft Unwissen oder unbewusste Abwehr beantwortet. Dann wird dieser Teil verdrängt. So gibt es diese Zweispaltung im Bewusstsein, wo viel von Lebensenergie weggedrückt wird in einen unterbewussten Bereich. Und der Teil von uns, der uns bewusst ist, also sozusagen der Bereich ab hier (den Bereich vom Hals bis zum Kopf mit den Händen zeigend), ist dann die verinnerlichte Gesellschaft, die innerliche Moral, der Richterblick des Vaters, des Lehrers oder des Priesters. So leben die Menschen in einem inneren Dauerkonflikt zwischen verdrängter biologischer Wahrheit und verinnerlichter Gesellschaft. W. Reich beschreibt, dass wenn das in tausenden, zehntausenden, bis zu Millionen von Menschen die psychische Situation ist, wie sie sich dann quasi nach diesem starken Führer sehnen, nach dieser Vaterfigur, die sie sowohl lieben wie auch fürchten, um einen Kanal zu haben für diese ganze blockierte Lebensenergie. Und das kann man sagen. Also immer, wenn aufgrund von autoritären, liebesfeindlichen sozialen Strukturen dieses “Wetiko” im Inneren des Menschen erzeugt wird, hat man immer die Gefahr von einer Gewalteruption auf der Ebene von Massengesellschaften. Weil die Menschen auf der Ebene der Angst sich nicht bewusst sind über das, was in ihnen passiert. Über ihr Denken und Handeln. Und deswegen alle auf einer bestimmten Ebene manipuliert und gleichgeschaltet werden können.

Christoph Lang Hhm, das heisst also, dass die Angst eigentlich der Trigger ist?

Martin Winiecki Ja, die Angst.

Christoph Lang Dass die Leute in der unbewussten Struktur bleiben und dann eben getriggert werden können über Angst und Sorgen. Und dass dadurch eben dann diese Massenhypnose oder diese Struktur, so wie wir es ja erleben, wie die Nachrichten und so weiter und die Leute sehr konform und angepasst reagieren, dass es dann so eben machbar wird. Wenn dieses Unterdrückte, Unterschwellige auf einmal ausbricht und in Resonanz kommt mit dem.

Martin Winiecki Ja. Also vielleicht eine kleine Anekdote dazu. Der amerikanische Neffe von Freud, Edward Bernays, war ein Geschäftsmann, der mit den Erkenntnissen seines Onkels das ganze Konzept der “public relations” im modernen Sinne entwickelt hat. Also er hat gemerkt das, wenn es stimmt, dass der Mensch gesteuert ist durch unterbewusste Triebe und Bilder, dass es dann möglich wäre, auf einer Massenebene sozusagen eine Zustimmung für bestimmte politische Entscheidungen oder auch Werbeartikel oder alles Mögliche zu generieren (den Begriff, den Noam Chomsky dafür gewählt hat war “Manufacturing consent”). Um Menschen eben zu bestimmten Entscheidungen hinzureissen. Und er hat das in einer unglaublichen Systematik ausgearbeitet und hat es zum Beispiel angewandt in einer grossen PR-Kampagne, um die Bevölkerung der USA davon zu überzeugen, dass es sinnvoll ist, dass die vereinigten Staaten am ersten Weltkrieg teilnehmen. Er hat erreicht, dass es für Frauen akzeptabel wurde, zu rauchen. Also es wurde eine richtige Systematik entwickelt, um das anzuwenden. Also die Kunst der Demagogie. Die Kunst eigentlich aller totalitären Regimes besteht immer darin, sich diesem psychischen Untergrund der Menschen zu bedienen. Also das ist immer die Grundlage, kann man sagen. Und das ist für mich auch der Punkt, wo man nicht nur erschrickt über das, was auf einer Machtebene passiert, sondern wo auch ein unglaubliches Potenzial an Befreiung drin liegt. Nämlich wenn es gelingt, diesen Untergrund aufzulösen, weil man Bewusstsein erzeugt, dann fällt auch dieses ganze politische System, was darüber gebaut wird, eigentlich wie ein Kartenhaus zusammen, weil die Grundlage des Ganzen, was ein verdrängter Angstmechanismus ist, entzogen wird.

Wo ist das spürbar? Wo sind wir betäubt im Herzen? Also auch die, die uns jetzt zuhören (bzw. die das Interview gerade lesen), können mal selber nachspüren: «Wo bin ich unachtsam oder wo kann dieses “Wetiko” unbewusst und ja auch nicht gewollt, stattfinden?»

Christoph Lang Wow. Was du gerade sagst, ist natürlich ganz speziell. Ich meine das, was Goebbels in Deutschland gemacht hat, hat der Neffe von Jung dann in Amerika gemacht, und alles in einer staatlich-systematischen oder wirtschaftlichen Struktur dann, wo eigentlich die Massen durch ihre Unbewusstheit benutzt oder gesteuert werden können. Das ist ja sehr erschreckend so. Aber der Aspekt des Positiven in den Erkenntnissen, die du gerade erzählt hast, die dahinterstecken, da gehen wir sicherlich nachher noch stärker darauf ein. Du hast geschrieben in dem Essay, dass “Wetiko” oder eben diese Art von Unbewusstheit unser Herz betäubt. Und das ist das, wo mich mal interessieren würde: Gibt es irgendwie Beispiele hier drin oder hast du Beispiele vom normalen Leben? Wo ist das spürbar? Wo sind wir betäubt im Herzen? Also auch die, die uns jetzt zuhören (bzw. die das Interview gerade lesen), können mal selber nachspüren: «Wo bin ich unachtsam oder wo kann dieses “Wetiko” unbewusst und ja auch nicht gewollt, stattfinden?» Das wäre vielleicht interessant, wenn du davon ein Beispiel hättest, damit wir dem auf die Schliche kommen könnten.

Martin Winiecki  Tja. Ich glaube, wenn man da einmal anfängt, das an sich selber zu entdecken, entdeckt man es an so vielen Stellen. Danke, dass du diese Stelle rausgreifst, weil das ist tatsächlich so ein wichtiger Punkt, die Betäubung des Herzens. Also ich habe geschrieben, unser Herz ist betäubt und wir lassen deswegen weder den Schmerz der Welt noch ihre Heiligkeit wirklich an uns herankommen. Und das ist eigentlich für mich so ein Kernpunkt. Also dass wir es auch durch unseren ganzen Komfort und durch die Konsummöglichkeiten und Unterhaltungsmöglichkeiten ganz leicht haben und es uns oft nicht bewusst ist, wie wir auszuweichen. Sowohl vor dem Schmerz als auch vor der Berührung mit der Schönheit und der Liebe der Welt. Ich meine, es gibt viele Beispiele. Wenn ich in einer Grossstadt bin und einem Obdachlosen begegne, läuft es ganz automatisch ab. Oder in unserem persönlichen Leben. Wie schnell die Offenbarung oder die Wahrheit eines Anderen dazu, das in mir selber Punkte aktiviert werden, wo Abwehr erzeugt wird. Und ja ich glaube, wenn man diese Struktur an sich anfängt zu erkennen, dann wird man sehr viele Beispiele merken. Jetzt mal positiv gesprochen: Wir brauchen sehr viel Vertrauen und tiefe Verständigung um diese Art von Offenheit für das Leben zu erlauben.

Jetzt mal positiv gesprochen: Wir brauchen sehr viel Vertrauen und tiefe Verständigung um diese Art von Offenheit für das Leben zu erlauben.

Christoph Lang  Mich erinnert das, wo du da schreibst, ein bisschen an Joanna Macy mit der Tiefenökologie, dass wir unsere Berührtheit auch wieder zulassen dürfen, und im Bezug zur Natur oder zu unseren Mitmenschen eben die Chance haben, wieder Empathie zu lernen. Überhaupt auch Gefühlsqualitäten wahrzunehmen. Und so habe ich das ein bisschen verstanden, was du geschrieben hast. Durch die Angst vor unseren Emotionen oder vor der Nähe mit Bettlern oder bedürftigen Personen oder der Natur, die kaputt gemacht wurde, schrecken wir zurück und gehen in die Ablehnung. Es scheint mir so ein bisschen, dass Leute, die das merken oder die Angst haben, fangen ja sogar an den Status Quo zu verteidigen. Das ist ja das Spannende, dass wenn wir solche Mechanismen in unserem Unterbewusstsein haben, verteidigen wir eigentlich Sachen, die uns in gewissem Masse – jetzt plakativ gesagt – versklaven in einer Situation, wo wir nicht ins Bewusstsein treten können.

Denn wenn wir uns dem Schmerz der Welt nicht öffnen können, dann können wir auch nicht wirklich lieben. Und um sich diesem Schmerz öffnen zu können, muss ich gleichzeitig die Schönheit der Welt sehen, die hinter ihm liegt.

Martin Winiecki Ja. Ich würde noch hinzufügen, dass ich glaube, das was es auch so schwer macht, diese wirkliche Berührung mit dem Schmerz der Welt zu erlauben, ist dass wir sehr oft und eben auch unterbewusst gesteuert sind von einem Untergangs-Glauben. Oder von einer Schmerzerwartung, wo wir glauben, dass eben, wenn wir uns öffnen für den Schmerz, dass wir dann von etwas überwältigt werden, was kein Ende mehr hat. Und das ist aber wie eine Art Paradox. Denn wenn wir uns dem Schmerz der Welt nicht öffnen können, dann können wir auch nicht wirklich lieben. Und um sich diesem Schmerz öffnen zu können, muss ich gleichzeitig die Schönheit der Welt sehen, die hinter ihm liegt. Und ich glaube, da gibt es etwas Tiefes wieder zu entdecken. Und das kann aber nicht nur auf einer emotionalen Ebene laufen, sondern es braucht die Arbeit an der Verbindung zu einem heiligen Kern des Lebens. Der ist so unabhängig von dem, was wir gerade auf der Erde machen. Der ist unabhängig davon, ob die Menschheit es schafft, oder ob die Erde überlebt oder was auch immer. Und wenn ich oder noch besser eine Gemeinschaft von Menschen oder eine ganze Bewegung an diesem Punkt verankert ist, dann haben wir einen ganz anderen Punkt von dem, wie wir uns damit konfrontieren können mit dem, was auf der Welt passiert. Und wir werden ein Instrument oder ein Organ eines Heilungsimpulses. Also ich glaube, die Welt fordert uns heraus. Je tiefer der Schmerz, umso grösser wird die Notwendigkeit einer Verankerung an diesem Punkt. Und wenn du da bist, dann weisst du, dass der Schmerz nicht auf dem Grund des Daseins ist, sondern er ist Ausdruck einer Zerstörung von Leben, und hinter jeder Krankheit liegt ein Heilungsimpuls. Das glaube ich ganz tief.

Christoph Lang Jawohl. Das wäre jetzt eben spannend, nochmal zu dem Bereich zurück bezüglich COVID19. Du hast ja gesagt, das ist eigentlich eine Erzählung, die uns über die Medien aufgedrängt wird. Du hast erzählt von dem rosa Elefanten. Was ist der rosa Elefant, der kurz aufgeblitzt ist oder kurz durch dein Essay gelaufen ist?

Martin Winiecki  Es ist eigentlich dieses Angstgespenst, kann man sagen. Und ich schreibe das auch ganz unironisch. Also schon ein bisschen mit einer humorvollen Note. Ich konnte es selber an mir so beobachten, weil als diese ganze Coronawelle anfing, war ich selber so verwirrt. «Was ist hier los?» Und ich konnte diese Schlaufe beobachten, wo irgendwann jede Türklinke zu einer potenziellen Bedrohung wird. Und je mehr ich mit solchen Gedanken der Angst beschäftigt bin und je mehr ich höre, umso mehr baut sich im Inneren was auf. Wenn ich dann huste, kommt dann eine Art Feedback-Schlaufe, die aber mehr eine “Self-fulfilling prophecy” irgendeiner objektiven Krankheit ist, könnte man sagen. Also ich bin kein Arzt, ich bin kein Epidemiologe. Also ich will damit nicht sagen, dass das alles nur erfunden ist. Aber ich möchte sagen, wie sehr das Narrativ von Corona, was jetzt über die Medien ausgebreitet wurde, wie sehr und wie schnell und wie stark es diese Art von Angstreaktion im Inneren erzeugt, weil eben diese Angst so dicht unter der Haut sitzt.

Christoph Lang Genau. Ich meine, wir drehen uns ja da im Kreis. Wenn wir solche Systeme anschauen, dann fallen wir immer wieder zurück in diese Betrachtung von “Wetiko”. Wo ist da der kranke Anteil, oder besser gesagt der Irrtum in dem, dass wir andere Lebensformen ausnutzen können, um uns was Gutes zu tun und diese Überheblichkeit, dass das nichts ausmacht? Das ist ja schon sehr lange so, dass wir eigentlich in Patriarchaten oder patriarchalischen Strukturen in diese Richtung gedrängt werden. Vielleicht darauf kurz ein Hinweis von dir. Wie steht das im Bezug zu dem?

Martin Winiecki  Ja, also es ist ja irgendwie interessant, dass wir zum Beispiel von der ganzen ökologischen Krise wissen. Also wir hören seit Jahrzehnten die Warnungen der Wissenschaftler, wir kennen die Statistiken, die Fakten. Das ist so der eine Teil. Und gleichzeitig gibt es den anderen Teil, wo wir weiterhin auf einer globalen Ebene eigentlich alles der Priorität eines exponentiellen grösstmöglichen Wirtschaftswachstums unterordnen. Und allein dieser Fakt, wenn man sich anschaut, was das bedeutet, dann ist das die systematische Übernutzung unserer Lebensgrundlage. Weil Wertschöpfung bedeutet die Umwandlung von dem, was bisher Natur war oder von dem, was bisher noch nicht Teil der Ökonomie war in Produkte oder die Einbeziehung von Menschen in ökonomische Kreisläufe. Also “Wetiko” ist Kannibalismus, und das ist es in Prinzip, von dem wir reden auf einer globalen, systemischen Ebene. Wenn man sich anschaut, warum die Menschheit es akzeptiert, von so einem System organisiert zu werden, dann ist das nicht nur eine ökonomische oder eine politische Frage, sondern das ist die Wiederspieglung von einem Lebensbild, von einem Ideal kann man auch sagen, wo die Ausnutzung des Anderen für die eigenen Zwecke als rational, sinnvoll und realistisch glorifiziert wird. Und ich sage es gerade bewusst so langsam und naiv, um sich irgendwie auch des Wahnsinns bewusst zu werden. Wenn man sich anschaut, was Wetiko bedeutet, wir haben ja vorhin über diesen Punkt geredet, wo das Herz so betäubt wird. Und es gibt eindeutig diesen Mechanismus da drin.

Also wenn der Mensch sich getrennt fühlt von der Quelle der Lebensenergie, und damit kann man auch sagen, wenn er getrennt wird von der Möglichkeit, Liebe im Vertrauen zu entfalten, dann entsteht dieser Überlebensdrang in dem Käfig des Ego.

Also wenn der Mensch sich getrennt fühlt von der Quelle der Lebensenergie, und damit kann man auch sagen, wenn er getrennt wird von der Möglichkeit, Liebe im Vertrauen zu entfalten, dann entsteht dieser Überlebensdrang in dem Käfig des Ego. Also dann muss ich mich als Einzelmensch in einer tendenziell feindlichen und gegnerischen Welt behaupten. Und wenn ich in diesen Gedanken einmal drin bin, dann erscheint es logisch und rational, andere Wesen für meinen Nutzen auszubeuten. Wenn man einmal anfängt zu denken, dass das nicht einfach nur normal ist, sondern das eigentlich Ausdruck einer tiefen seelischen Not und Krankheit ist, dann ist man sehr erstaunt, sich eben anzuschauen, was die Denker waren, die die westliche Welt geprägt haben. Also Hobbes zum Beispiel mit seinem – ich weiss gar nicht wie das auf Deutsch heisst – “State of Nature”, von seiner Beschreibung von dem Urzustand der Natur, wo er sagt «Der Krieg Alle gegen Alle». Und eben in einer “Wetiko-Welt” – also sie ist immer hierarchisch, sie ist immer im Sinne von Dominanz – ist eben der andere ein Konkurrent oder der andere ist Beute. Und man kann eigentlich sagen, die ganze ökologische Krise, die die viel grössere Krise ist als die Coronakrise, ist nicht nur Folge von CO2-Ausstössen, von Zerstörung von Ökosystemen, sondern es ist eigentlich Ausdruck dieser spirituellen Krise. Dass der Mensch sich getrennt hat aus einem ökologischen Verhältnis, weil er sich so in eine Ego-Sackgasse, nicht nur individuell, sondern zivilisatorisch, hineinmanövriert hat. Und aus der er jetzt aus eigenen Kräften nicht mehr entkommen kann. Also er kann schon, aber nicht auf der Ebene der bestehenden gesellschaftlichen Systeme.

Christoph Lang  Jawohl. Und da sagst du ja, es sei die Chance in diesem Lockdown, in diesem zur Ruhe kommen, dieser Stille, die ja auch teilweise herrscht. 95 Prozent der Flugbewegungen sind nicht mehr am Himmel. Wow, unglaublich. Das ist wirklich fantastisch. Eben, das macht manchen Leuten Angst. Sie fühlen sich begrenzt, weil sie ihrem Konsum nicht mehr nachgehen können und so. Aber andererseits eben diese Möglichkeit, in sich zu schauen, oder eben diese Ruhe mal auszuhalten. Da sagst du auch, ist Heilung möglich oder wie ein Neubeginn möglich, wenn wir es anders ausdrücken wollen. Also da ist der Ansatz: Wo ist die Chance in der Krise?

Wo ist die Chance in der Krise?

Martin Winiecki  Ja ich finde, wir leben in einem unglaublich interessanten Moment unserer kollektiven Geschichte. Und wenn man nochmal zurückgeht zu diesem Gedanken oder zu der Vorstellung, dass diese ganze Coronakrise oder dieses COVID19-Phänomen, tatschlich die ganze Somatisierung oder der körperliche Ausdruck einer tieferen Krankheit ist, eben dieser “Wetiko-Krankheit”, dieser Selbstbesessenheits- und Egokrankheit des Menschen. Dann ist es sehr interessant, was gerade weltweit passiert. Weil es sehr oft so ist, wenn man sich anguckt auf einer psychosomatischen Ebene, wie Krankheiten entstehen, dass wenn Dinge die der Seele des Menschen passieren, Konflikte und bestimmte Wahrheiten, mit denen wir nicht bewusst umgehen können, die in eine Ebene verdrängt werden, wo sie dem Bewusstsein nicht mehr zugänglich sind und dann drückt der Körper sie durch bestimmte Symptome aus. In dieser Somatisierung, in dieser Verkörperlichung werden dann diese ganzen Muster gleichzeitig verstärkt und übertrieben, sie brechen zusammen. (Wir können uns davon befreien). Und ich glaube das passiert gerade auf einer Menschheitsebene mit “Wetiko”, durch diese COVID19-Geschichte. Wenn wir uns angucken, was jetzt auf einer wirtschaftlichen Ebene passiert. Wie die Ölindustrie jetzt dabei ist abzutreten oder zu kollabieren und wenn wir sehen wie dieses ganze Finanzsystem wirklich nur noch durch künstliche Massnahmen aufrechterhalten wird. Auch auf der sozialen Ebene –wir reden jetzt von “Social Distancing”, von Distanzierung und Isolation. Gleichzeitig sind diese Wetiko Gesellschaten sowie der ganze Spätkapitalismus, in dem wir leben, war ja schon seit vielen Jahren eine Gesellschaft von Isolation und sozialer Distanzierung. Also ich glaube das jetzt ein Moment ist um sich dessen bewusst zu werden. Um es kurz zu sagen, dass COVID-19 die ganzen Tendenzen, die sowieso in der Menschheit am Laufen waren, nur verstärkt und beschleunigt und darin liegt die Möglichkeit, sich derer bewusst zu werden. Das betrifft die psychologisch-spirituelle Ebene. Und gleichzeitig auf einer politisch-ökonomischen Ebene wird ein Systemzusammenbruch, der sowieso unvermeidlich war und schon lange am Schwelen war, wird unglaublich beschleunigt. Und ja, es ist jetzt so ein richtiger Entscheidungsmoment. Also ich glaube das, was jetzt in den nächsten Wochen und Monaten passieren wird, wird eine starke Bedeutung für das haben, was über die nächsten Jahre und Jahrzehnte passiert. Und deswegen, angesichts der Klimakrise, der ökologischen Krise, mit der wir zu tun haben, wird es natürlich jetzt von richtig entscheidender Bedeutung. Also es gibt die Möglichkeit, dass wir dieses ganze kapitalistische System durch ein sozialeres, humaneres und ökologischeres ersetzen und gleichzeitig stehen wir aber auch vor einer richtigen Gefahr, vor einer totalitären Übernahme, kann man sagen. Weil auch klar ist, dass der globalisierte Kapitalismus nur noch überleben kann, indem er primär auf diktatorische und totalitäre Massnahmen zurückgreift, glaube ich. Und das ist natürlich jetzt ein Moment der Massenhysterie, wo sich ganz stark anbietet, solche Massnahmen einzuführen.

Christoph Lang  Ja du sprichst auch von den zwei Szenarien, wo du siehst. Du hast das gerade angedeutet. Das totalitäre und das eher sozio-ökologische Szenarium. Diese Übergangsphase ist jetzt ganz speziell, wie du sagst, ob wir in diese Betäubung kippen oder ob wir bewusster werden und diese Elemente, die wach werden, auch stärker zu uns nehmen. Diese Caresysteme, die jetzt neu entstehen und so. Vielleicht erzählst du noch einmal kurz diese zwei Wegbereiche, die vor uns liegen. Um das noch einmal zu vertiefen, was wir ja sehen und auch täglich beobachten können.

Martin Winiecki  Ja, also ich meine ich habe jetzt in meinem Essay zwei Szenarien beschrieben. Ich will damit nicht sagen, dass es unbedingt nur zwei Szenarien gibt. Aber ich glaube, dass je mehr sich dieses System tatsächlich auflöst, umso unsicherer und umso schwieriger wird es, wirklich klare Vorhersagen zu treffen. Ich muss es bewusst hinzufügen, weil mich einige Menschen auch darauf angesprochen haben als Rückmeldung zum Text. Ich finde das auch einen wichtigen Hinweis, weil wir auch in einer Zeit leben, wo es sozusagen empfehlenswert ist, dualistisches Denken hinter sich zu lassen. Ich möchte trotzdem diese beiden Szenarien aufmalen. Weil ich denke, dass sie zeigen, vor was vor einer radikalen Wahl wir stehen im Moment. Und gleichzeitig denke ich auch, dass wir erleben, wie sich beide Szenarien in gewisser Weise jetzt schon manifestieren. Es wird sicherlich auch Zustände oder Zeiten geben, wo man beide Szenarien gleichzeitig sehen wird, wie sie sich überlappen. Ja, ich sehe einmal dieses Szenario, das ich “ surveillance capitalism “ genannt habe, also Überwachungs-Kapitalismus. Auch das ist schon seit vielen Jahren im Kommen. Edward Snowden und andere haben uns ja auch schon stark darauf hingewiesen. Zum Beispiel Google, also die ganzen Fähigkeiten, die der Kapitalismus eben hat in der globalen Datensammlung und Überwachung durch diese nie dagewesenen Internetsysteme, die wir haben. In diesem Szenario wird dieser Lockdown, also diese Abriegelung der ganzen Gesellschaften ausgenutzt von Regierungen, die ihre demokratische Überprüfbarkeit oder die demokratischen Strukturen in den Gesellschaften abschaffen wollen. Also das sieht man jetzt auch teilweise. Zum Beispiel in Ungarn, wo Viktor Orban jetzt sozusagen wie ein Dikator regiert. Also das Parlament ist bis auf Weiteres suspendiert, es gibt bis zu sechs oder sieben Jahren Haft, wenn man trotz Ausgangssperre auf der Strasse ist. Also es sind unglaubliche Massnahmen. Und Teil davon ist auch, dass – das wird jetzt auch schon teilweise eingeführt oder vorgeschlagen – es eine Art von Kontrolle gibt, wo die Gesundheitsdaten jedes einzelnen Bürgers über mobile Apps zentralistisch gesammelt werden. Wo Menschen dann das Recht auf freie Bewegung und auf die Begegnung mit anderen, wahrscheinlich auch das Recht auf freie Meinungsäusserung durch Demonstrationen, wo sie das sozusagen eintauschen müssen gegen die Preisgabe von noch viel mehr Informationen als bisher angenommen, entweder an multinationale Datenkonzerne oder an Regierungen. Wenn man sich überlegt, was das bedeutet mit Gesundheits-Apps, dass man so weit gehen könnte. Also man ist heute in der Lage, einen Sender auf oder in einen Körper zu setzen, der die biochemischen Reaktionen misst. Also es könnte soweit gehen, dass eine Regierung dann in der Lage ist, zu messen, beim Lesen welches Artikels man eine wütende oder freudige Reaktion hat. Also man kommt in Szenarien, die auch die Phantasie eines George Orwell sehr deutlich übertreffen, und wo man dadurch halt in eine totalitäre Situation rutscht. Für mich ist das auch ein plausibles Szenario, weil der Kapitalismus hat eigentlich seinen Flirt mit der Demokratie beendet. Wir sehen das auch jetzt zum Beispiel in den USA. Es werden jetzt ähnlich wie in der Krise 2008 Milliarden von Steuergeldern jetzt den Konzernen gegeben, die unter dieser Krise leiden. Und somit wird auch diese Krise genutzt für eine weitere Umverteilung von Besitz von 99 Prozent der Bevölkerung an die reichsten 1 Prozent. Das ist das eine Szenario. Ich sehe aber gleichzeitig auch die Möglichkeit – und dafür gibt es auch sehr viele Anzeichen – dass in dieser Krise ein Systemwechsel stattfinden kann. Denn eigentlich wird in diesem bestehenden System sowieso ein Systemwechsel stattfinden müssen. Das zeigt alleine der Zusammenbruch der Ölindustrie, die ja das Rückgrat der kapitalistischen Welt ist, wie überfällig das ist. Wir sehen an vielen Stellen gerade, wie Menschen sich selbst organisieren: Initiativen für Solidarität, für Nachbarschaftshilfe, für Arme, das Ganze Thema Lokalisierung und Regionalisierung von Lebensmittelversorgung. Diese ganzen Initiativen könnten eben zu einem Übergang führen von einem zentralistischen und globalisierten System zu einem regenerativen, was auf regionalen Wirtschaftskreisläufen beruht. Das sind Systeme, die auch demokratisch sind, weil Menschen eine direkte Beziehung haben zu der Nahrung, zu dem Wasser, zu der Energie, die sie konsumieren. Es sind auch ökologische Systeme, weil sie nicht mehr auf diese Masse fossile Brennstoffe angewiesen sind, weil sie eben nicht mehr diesen Transport bedürfen. Es sind auch Systeme, die Mittäter-freier sind. Und – das ist aber der heiklere Punkt daran – es sind Systeme, die eben Menschen viel mehr Autonomie geben auf einer lokalen und regionalen Ebene, und es deswegen schwieriger machen, Menschen in zentralistische Systeme zu zwängen. Es passiert in diesem Szenario eine Emanzipation, wo Menschen anfangen, auf der Ebene wo Entscheidungen nötig sind, diese auch für sich selbst zu treffen. Das sind ja Gedanken von Anarchismus, von vielen Befreiungsbewegungen, die auch schon seit langer Zeit existieren. Für mich ist entscheidend an diesem Szenario, dass es getragen ist von einem Bewusstseinswandel im inneren des Menschen getragen ist. Also es ist ein Szenario, was in dem Masse realistisch ist, wie die Menschen die “Wetiko”-Krankheit in sich heilen. Solange wir getrieben sind von unbewussten Angstmechanismen, können wir über Gemeinschaft und über Kooperation und ökologische Erneuerung reden und träumen und auch viel daran arbeiten. Doch müssen wir begreifen, das genauso, wie die psychologische Basis von diesem Massensystem und autoritärem und totalitärem System die Angst ist, so sehr ist die Basis dieser auf Gemeinschaft basierenden, dezentralen Systeme die Kraft des Vertrauens. Die Kraft von realer Solidarität und die kann systemisch nur entstehen, wenn wir uns Gedanken machen darüber, wie Vertrauen strukturell wieder entstehen kann. Weil im Moment ist das nicht die psychologische Realität, in der wir leider leben.

Die Kraft von realer Solidarität und die kann systemisch nur entstehen, wenn wir uns Gedanken machen darüber, wie Vertrauen strukturell wieder entstehen kann.

Christoph Lang Das ist ja wieder spannend. Es zeigt ja viel von dem, was du sagst. Also wir sehen ja, diese Apps werden gerade mitgeteilt, es wird diskutiert. Sind die noch gratis, kann man die selbstbestimmt herunterladen, geben wir unsere Haut selber her oder werden sie nachher zentral verordnet? Und das andere, eben dieses tolle Aufblühen von unten, wo Leute die Nachbarschaft stärker wieder in den Vordergrund stellen, wo sie über den Zaun mit Nachbarn sprechen, mit denen sie vorher gar nichts zu tun hatten. Da passiert ja was, wo aufwacht. Aber das andere ist halt eben, sich diesem gedämpften, unbewussten Teil trotzdem zu stellen. Wir fallen ja, weil es so unbewusst ist, ständig wieder in das hinein. Da habe ich letztens einen Spruch gelesen, der heisst. «Die Erde will nicht gerettet werden, sie will von uns geliebt werden». Und das ist ja eigentlich das Gleiche mit den Menschen, die jetzt Angst haben, die Sorgen haben, die wollen ja auch nicht gerettet werden. Eigentlich geht es ja jetzt darum, dass wird den Leuten zeigen, dass wir uns gegenseitig auch gerne haben können und dass wir empathisch sind miteinander. Ihr seid in Tamera auch im Bereich der Liebe am forschen. Was bedeutet das? Kann uns das vielleicht eine Anregung geben, da wacher zu werden, etwas mitzunehmen auch in diese Wandelzeit, in der wir jetzt sind? Dieser Begriff der Liebe.

Ja ich glaube, die Liebe ist ein Schlüssel in dieser ganzen Transformation. Ich kann das voll unterstrichen, diesen Satz. Also ich empfinde das ähnlich, dass die Erde nicht gerettet werden will, sondern die Rettung liegt im Leben selbst. Und sie eröffnet sich durch die Kraft der Liebe.

Martin Winiecki  Ja ich glaube, die Liebe ist ein Schlüssel in dieser ganzen Transformation. Ich kann das voll unterstrichen, diesen Satz. Also ich empfinde das ähnlich, dass die Erde nicht gerettet werden will, sondern die Rettung liegt im Leben selbst. Und sie eröffnet sich durch die Kraft der Liebe. Und ich kann da auch nochmal den Faden zurückspinnen zu dem Punkt am Anfang, über das ganze Thema von Wilhelm Reich, also die Spaltung des Charakters. Und da geht er ja ganz stark auf diese Entstehung ein – er hat es dann Charakterpanzer genannt. Man kann sagen, die autoritäre Konditionierung, die hat ja ganz stark damit zu tun, dass Lebensimpulse, also eben auch ganz stark erotische Lebensimpulse, als unsittlich, als dreckig, als inhuman verurteilt werden. Dadurch aus der Kommunikation aus dem, was wir öffentlich zeigen können, verdammt werden. Dadurch gibt es auch eine bestimmte Trennung im Inneren. Also man kann sagen, auf einer mythologischen oder auf einer symbolischen Ebene. Es gibt dieses Bild der heiligen Maria. Also das Bild einer liegenden, aber keuschen Gestalt. Und daneben gibt es einen verdrängten Untergrund von auch sexueller Wildnatur. Für mich ist das auch, eben in der Verbindung die du geknüpft hast zur Erde, eigentlich ein ganz zentrales, tiefenökologisches Thema weil der Mensch, der nicht in der Lage ist, mit der Wildnatur in sich und in anderen in eine positive Beziehung

Wer diesen Teil in sich selber verdrängen muss, der ihn sich selber foltern muss, der wird in auch in der Natur zerstören. Und die Frage ist: «Wie werden wir fähig, dieses Leben ganz zu lieben?»

zu treten. Wer diesen Teil in sich selber verdrängen muss, der ihn sich selber foltern muss, der wird in auch in der Natur zerstören. Und die Frage ist: «Wie werden wir fähig, dieses Leben ganz zu lieben?» Das ist für mich eigentlich ein richtiger Schlüssel zu der Frage «Wie gehen wir mit dieser ökologischen Krise um?» Viele reden ja auch davon, dass diese ökologische Krise eine Möglichkeit der Initiation ist, der Einweihung in eine nächste Daseinsstufe. Das ist nämlich ein ganz zentraler Schlüssel. Die Erde kann ein Jammertal sein oder sie kann eine Liebesaffäre sein. Und das hängt davon ab, wie weit wir in der Lage sind, uns diesen heiligen Lebenskräften zu öffnen und mit ihnen in Verbindung zu treten. Ich glaube eben, das ist etwas, was ich ganz stark in Tamera gelernt habe, in dieser Erfahrung von Gemeinschaft, das diese Öffnung für diese Vorgänge nicht nur eine Sache von individueller Therapie sein muss oder von einzelnen Events, die wir erzeugen. Heute gehen sehr viele Menschen auf Ayahuasca-Trips, um das zu erleben. Also es gibt immer wieder diese Wege, die die Menschen suchen. Oft in ganz bestimmten geistigen oder kulturellen Settings. Diese Öffnung ist aber eigentlich ein kollektives Thema einer gesellschaftlichen Gestaltung, unabhängig von den bestimmten kulturellen und religiösen oder spirituellen Vorlieben, die wir haben. Denn die Öffnung zum Heiligen und zur Liebe steht im Zentrum jedes Seelenlebens eines jedes Menschen. Natürlich sind wir nicht alle gleich, natürlich hat es einen anderen Schwerpunkt bei jedem Menschen. Aber ich glaube, jeder hat eine Beziehung zur Liebe und eine Beziehung zum Heiligen. Im Prinzip gibt es auch einen Punkt, wo sie zusammenkommen. So glaube ich eben, dass das ganz tief ein Thema ist. Können wir unter Menschen Räume schaffen, wo wir bereit sind und fähig werden, ganz wahr zu werden? Also wo wir nicht mehr Masken tragen müssen, wo wir uns nicht mehr präsentieren müssen in einer bestimmten Weise, um anerkannt zu werden. Sondern wo Anerkennung dadurch geschieht, dass wir die Masken ablegen und uns auch unter uns voll authentisch zeigen können. Und in dieser Erfahrung, wo Menschen sich auf dieser seelischen Ebene kennen lernen und sehen, da entsteht ein positiver Untergrund von Liebe. Ja und ich glaube, dass das auch dann die Grundlage wird für eine ökologische Gesellschaft, wo die Menschen die Erde wieder voll lieben können. Also ich glaube, dass die Liebe zur Erde auf dünnem Eis gebaut ist, solange die Liebe unter Menschen nicht möglich ist.

…ich glaube, dass das auch dann die Grundlage wird für eine ökologische Gesellschaft, wo die Menschen die Erde wieder voll lieben können. Also ich glaube, dass die Liebe zur Erde auf dünnem Eis gebaut ist, solange die Liebe unter Menschen nicht möglich ist.

Christoph Lang Ja, genau. Franz Renggli hat im Interview, das ich letztens gesehen habe, gesagt dass er Hoffnung bekommen hat, als er in der 60er-Jahren die Hippiebewegung beobachtet hat, wo er auch Teil davon gewesen ist. Er hat bemerkt, dass die jungen Paare, die Kinder hatten, diese wieder zu sich genommen haben und in Tragetüchern bei sich getragen haben, wie das eigentlich ursprünglich der Fall ist. Sie haben wieder eine andere Beziehung zum Leben, zu diesem werdenden Leben entwickelt und sich wieder mehr zusammengeschlossen. Das fand ich ein sehr schönes Bild. Diese Achtsamkeit wieder zu üben und in diese Achtsamkeit wieder hinein zu kommen. Könnte es symbolisch gesehen sein, dass man sagt: «Okay wir müssen jetzt so einen Topf mit einem kleinen Baum mit ein bisschen Erde oder einem wachsenden Lebewesen symbolisch als Bezugspunkt zur Erde nehmen und bei uns tragen, damit wir uns erweitern». Das wir so etwas auch machen könnten. «Okay, Mensch zu Mensch Liebe müssen wir fördern, aber auch diesen Teil Mensch zu Erde, Liebe zur Erde sollten wieder spürbar machen». Diesen Sprung müssten wir vielleicht auch machen. Die Kinder zu tragen, ist ein Ding. Wir müssten vielleicht versuchen, die Erde zu uns zu nehmen auf die Haut und in die Beziehung zu ihr gehen.

Wir müssten vielleicht versuchen, die Erde zu uns zu nehmen auf die Haut und in die Beziehung zu ihr gehen.

Martin Winiecki  Ja, das ist total wichtig. Ich sage das mit der Liebe unter Menschen nicht aus einer anthropozentrischen Sicht. Also ich denke, es gibt eine richtige Wechselbeziehung. Ich glaube, dass der Mensch, um seine Liebe zueinander wieder voll zu öffnen, braucht es die Öffnung für die Liebe für das Leben jenseits des Menschen. Also für die Liebe zum Heiligen, die Liebe zu der Erde, zu den Tieren. Und ich glaube aber eben, dass es andersrum genauso der Fall ist. Ich denke, dass Liebe eigentlich ein Daseinszustand ist, wo die einzelnen Aspekte davon gar nicht voneinander zu trennen sind. Also wenn ich mich in eine Richtung liebend öffnen will, wird meine Seele sich überall hin liebend öffnen. Und gleichzeitig denke ich, dass es

Ich denke, dass Liebe eigentlich ein Daseinszustand ist, wo die einzelnen Aspekte davon gar nicht voneinander zu trennen sind. Also wenn ich mich in eine Richtung liebend öffnen will, wird meine Seele sich überall hin liebend öffnen.

für die Menschheit wesentlich ist, dass wir diesen Kanal der Liebe zur Erde wiederentdecken. Wir können uns auch jahrzehntelang damit beschäftigen, wie unser Trauma heilt, und wie wir unsere Beziehungen heilen und wie wir die Konflikte lösen untereinander. Und solange das stattfindet in einer psychologischen sozialen Blase, in der wir gar nicht wahrnehmen, in was für einer Welt wir leben, in was für einem Schöpfungswunder, dann ist es eine Mühle, wo es nie einen Ausweg gibt. So gibt es auch ganz grosse Heilkräfte, die vom Leben selbst kommen. Von der Erde. Ich glaube, dass Mensch und Erde eigentlich ganz tief eine Einheit bilden und dass das eine Erkenntnis ist, die ganz entscheidend sein wird für diese Initiation dieses Jahrhunderts.

So gibt es auch ganz grosse Heilkräfte, die vom Leben selbst kommen. Von der Erde. Ich glaube, dass Mensch und Erde eigentlich ganz tief eine Einheit bilden und dass das eine Erkenntnis ist, die ganz entscheidend sein wird für diese Initiation dieses Jahrhunderts.

Christoph Lang Ja, wir haben viel Kontakt zu der Klimajugend. Wir sind ein Teil davon, so alt ich auch bin. Ich denke, da sind viele Generationen in dieser Klimajugend eigentlich auch zusammen unterwegs. Und was ich merke, wenn ich Aktionen oder Klimaversammlungen organisiere, ist eine grosse Ohnmacht, eine grosse Ratlosigkeit. Um auf diesen spannenden Teil einzugehen: Du hast gesagt Initiation. Ich glaube, das ist ganz ein wichtiger Teil, wo jetzt passieren kann. Da geht man ja wie durchs Feuer. Man darf sich erneuern. Und da ist vielleicht die Frage. Wie können wir diese zwei oder diese mehreren Wege vor denen wir stehen, zum Leben oder vom Leben weg, ein bisschen in diese Klimabewegung reinnehmen? Was für eine Idee hast du da? Was kann man in diese Klimaversammlungen mit hineinnehmen, damit Mut entsteht? Damit eben dieser Weg zur Liebe, zu der Erde wieder möglich wird. Hast du da vielleicht eine Inspiration?

Martin Winiecki  Ja also ich empfinde eigentlich, dass jetzt viel von dem, was durch diese ganze Coronakrise sichtbar wird oder was an Zukunftsszenarien sich auftut, was an Massnahmen nötig ist, das lässt sich so stark auch übertragen auf die ganze Klimakrise. Die Systemfrage gilt ja gleichermassen für beide. Und die Sinnfrage, vor der wir stehen, gilt für beide Situationen. Und das, was die Haupttheorie ist über den COVID19-Erreger, da steckt ja auch eine tiefe ökologische Botschaft drin. Also dass es eben von Wildtieren auf den Menschen übertragen wurde, weil Menschen Ökosysteme zerstören. Und wo eben jetzt auch von Virologen dieser Ruf kommt. Wir können also die Gesundheit des Menschen nicht von der Gesundheit der Erde trennen. Also es gibt nur Gesundheit, wenn beide gleichermassen

Wir können also die Gesundheit des Menschen nicht von der Gesundheit der Erde trennen.

respektiert werden. Gut, aber das war nicht deine Frage. Ich mache einen Schritt zurück. Also ich finde, dass eben genau so wie bei Corona oder der Art, wie die Menschen auf die Klimakrise reagieren, können wir viele der Mentalitäten studieren, die zu dieser Krise führen. Und das nimmt leider auch die Aktivistinnen und Aktivisten nicht aus. Also der Drang nach einer schnellen technischen Lösung, wie zum Beispiel bei einer Krankheit. Wir wollen einfach eine Pille schlucken, die das Problem eliminiert. Das ist natürlich auch verständlich von einem bestimmten logischen Blickpunkt heraus. Natürlich müssen wir aufhören, fossile Brennstoffe zu verbrennen, aufhören nach Öl zu bohren. Wir brauchen die Energiewende. All das. Wir brauchen eine Neuorganisation für alles, was wir hatten. Regionale Wasserenergie und Nahrungssysteme. Gleichzeitig glaube ich, dass wenn wir nur auf einer materialistischen, ökonomischen, politischen, ökologischen Ebene diese Klimakrise betrachten, rennen wir in eine Vergeblichkeitsfalle. Die Griechen würden sagen, das ist ein Moment von “Metanoia”. Also “Metanoia” ist die tiefe geistige Transformation im Inneren. Und das liegt daran, weil sich in meiner Weltschau in der Klimakrise ein Grundkonflikt verdichtet, der zwischen einer patriarchalen Machtwelt, die wir seit 5000 Jahren haben, die sich eben getrennt hat von den Lebenszusammenhängen der Erde und auch von der Natur des Menschen im Inneren auf der einen Seite und eben das System des Lebens. Es ist also der “Clash” zweier Systeme, was nicht nur Natur und Industriekapitalismus ist. Sondern es ist das Ende auch all derjenigen Mentalitäten und Denkgewohnheiten und Muster im menschlichen Bewusstsein, die überhaupt zu dieser Art von Zerstörung des Lebens auf dieser Ebene führen konnten.

Ich finde es total wichtig und ich bin auch tief dankbar für alle Menschen, die aufstehen. Ich bin selber ein Aktivist. Also wir haben hier in Portugal gegen Ölbohrungen gekämpft. Also ein Grossteil meiner Arbeit ist auf einer aktivistischen Ebene. Und gleichzeitig denke ich, dass diese Zeit uns auch immer wieder total herausfordert, herauszutreten aus allem Aktionismus. Um ein Bewusstsein darüber zu entwickeln, was die geistige Transformation ist, in der wir gerade stehen, was uns spirituell von der Erde selbst entgegenkommt. Und es gibt da tiefe Punkte, an die man da kommt. Also wo man zum Beispiel auch merkt, wie viel Panik und Aktionismus im Bezug aus der Klimakrise kommt aus unserer Unfähigkeit, uns mit dem Thema Tod zu konfrontieren. Der Drang nach einer schnellen Lösung. Was ist aber, wenn die Klimakrise nicht aufzuhalten ist? Sondern wenn sie uns zwingt zu einer tiefen Veränderung zu unserer Beziehung zur Erde? Und ich glaube, wir können diesen Vorgang nicht von Aussen betrachten, wir müssen eintreten in ihn. Joanna Macy hast du vorhin erwähnt. Sie hat gesagt, wir müssen Aktions- und Studiengruppen bilden. Und Teil davon ist eben auch diese gegenseitige Unterstützung in der Bewusstseinsarbeit, wo wir auch mit den Punkten im Inneren arbeiten, die in dieser tiefen Transformationen aktiviert werden. Weil das ist für mich genauso Teil des Aktivismus wie die äusseren Aktionen für Klimaschutz und für ökologische Restaurierung und all das. Und das ist jetzt für mich, um zurück zur Frage zu kommen ganz real ein Punkt der Hoffnung. Also wenn wir zum Beispiel politische Aktionen verbinden können mit Ritualen. Wenn wir uns ganz tief verbinden mit dem Wesen der Erde, die wir schützen wollen, dann entsteht daraus Kraft. Also diese Ebenen wollen, so glaube ich, ganz tief

Wenn wir uns ganz tief verbinden mit dem Wesen der Erde, die wir schützen wollen, dann entsteht daraus Kraft.

zusammenkommen. Also die Ebene der politischen Aktionen und die Ebene einer spirituellen Verbindung. Und auch ganz konkret die Ebene einer ökologischen Heilung wenn wir zusammenkommen mit der Arbeit im Aufbau von Gemeinschaft. Also ich glaube, dass der Aktivismus, der uns Mut macht, Kraft und Hoffnung gibt, ein ganzheitlicher ist. Alle Bereiche stehen vor einer Erneuerung, wo die zusammenkommen. Und ich glaube nicht, dass alle Menschen alles gleichzeitig machen müssen. Aber ich glaube, dass jetzt die Zeit ist, wo wir heraustreten aus diesen abgetrennten Boxen. Und wo die Menschen, die die Notwendigkeit einer tiefen systemischen Veränderung sehen, zusammenkommen und sich gegenseitig kennenlernen, unterstützen und zusammenarbeiten für ein grösseres Bild der Veränderung.

Christoph Lang Ja das trifft es sehr, was wir vom Feuervogel sagen. Wir sagen ja, dass wir durch die Erde denken und fühlen lernen müssen, um neu entscheiden zu können. Wenn wir das nicht machen und in einer liebevollen Beziehung zur Erde, dann werden wir wieder in diesen Aktionismus, wie du gesagt hast, oder in diese Hetze und Rastlosigkeit reinkommen. Und dann kommen wir vielleicht wieder zurück in die Normalität, die ja schon vor der Coronakrise keine Normalität, sondern auch da schon eine Krise war im ökologischen und sozialen Umfeld. Ja, ganz herzlichen Dank schon mal jetzt. Was fällt dir ein auf das, was du bisher gesagt hast. Was fehlt noch? Oder was macht das Bild noch runder? Wir haben sehr viele Aspekte reinnehmen können. Was fällt dir noch ein, was du noch sagen oder übermitteln möchtest.

Martin Winiecki   Hm. Also das ist jetzt gar nicht so Teil von dem Essay, aber ein Punkt jetzt vielleicht auch noch als Nachtrag zu der Frage aber auch überhaupt zu dem Thema dieser Zukunftsszenarien. Ich glaube, dass es auch von entscheidender Bedeutung ist und dass diese Zeit der Quarantäne auch ein guter Moment dafür sein kann, unsere Vorstellungskraft zu erweitern. Also ich denke, dass wir auch in einer Zeit leben, wo wir uns den Kräften der Visionsbildung neu annehmen können. Und ich denke, dass wir soweit in der Lage sind, gesellschaftliche Veränderungen einzuleiten oder anzustossen und zu inspirieren, wie wir ein Bild sehen von dem, was wir in der Welt verwirklichen wollen. Also wenn ich von einer gerechten und humanen Gesellschaft rede, aber eigentlich innerlich voll bin von dystopischen Bildern, dann ist das eine Forderung, die ich auf ein Plakat schreiben kann. Ich glaube aber nicht, dass sie besonders wirkungsvoll sein wird. Und auf der anderen Seite glaube ich, dass Menschen, die sich immer mehr verbinden mit dem Bild der Möglichkeit, dass das Menschen sind, die zu ganz kraftvollen Agenten einer gesellschaftlichen Veränderung werden können. Und für mich ist dieses Thema von Visionsarbeit so wertvoll, weil wenn ich mich wirklich mit einer Vision verbinden kann, dann erlebe ich in mir – oder besser noch wenn ich das mit anderen Menschen mache, dann erlebe ich es in der Gruppe – einen bestimmten geistigen Ebenenwechsel irgendwann. Also ich kann anfangen in meinem inneren mit Phantasien zu spielen. Und ich merke aber, wenn ich mich mit Vision verbinde, dann erlebe ich den Realismus, die reale Möglichkeit, die in diesem Bild mitschwingt. Also ich erlebe Kraft, die zu mir kommt. So gibt es eigentlich diese Wahrnehmungsebene, wo man merkt: nicht ich habe dieses Bild in meinem Kopf erzeugt, sondern kann dieses Bild sehen, weil es eine Möglichkeit in der Welt ist. Und das ist ja auch von Philosophen gesagt worden. Die Welt in ihrem jetzigen Zustand ist schwanger mit dem Bild einer neuen Gesellschaft. Genauso wie die berühmte Raupe den Schmetterling als Möglichkeit in sich trägt. Und ich glaube, dass je stärker auch diese Untergangsbilder in der Menschheit werden, umso stärker können Bilder von der Heilungsmöglichkeit im Ganzen der Welt wirken. Und wir hatten im Januar in Tamera eine Visionszeit, wo wir das gemacht haben mit 60 Menschen. Wo wir immer wieder durch geistige Gruppenarbeit aber auch durch intuitive spirituelle Übungen und Rituale uns verbunden haben. Wenn wir in die Zukunft schauen, wenn wir auf 2030 schauen, wenn wir auf 2100 schauen, können wir ein Bild der globalen Heilung sehen und wie wir als Gemeinschaft und ich als Individuum dazu beitrage. Und das war so ein frappierendes Erlebnis zu merken, dass 50 Menschen oder 60 Menschen alle einzeln eine spirituelle Übung machen, und wie stark die Übereinstimmung der einzelnen Bilder ist zum  Gesamtbild und wie überraschend es auch ist zu erleben, wie eindeutig ein positives Bild kommt. Also wie wir sehen konnten, Ja es gibt den Zusammenbruch des bestehenden globalen Systemes, ja es gibt Chaos, es gibt Bilder des Zusammenbruchs, es wird noch viel mehr Flüchtlinge geben und es bilden sich aber aus diesem Chaos heraus Zellen, wo Menschen in einem neuen Bewusstsein zusammenkommen. Wo sie die Bedeutung von Gemeinschaft wiederentdecken, wo sie Vertrauenskerne, wo sie durch diese Wiederentdeckung der Gemeinschaft auch auf einer spirituellen Ebene eine neue Beziehung aufbauen zur Natur, wie dadurch andere ökologische und ökonomische Systeme entstehen. Und wie sich das immer mehr auf der Erde ausbreitet. Und das war und ist für mich ein unglaublich kraftvolles Bild. Ich kann nur sagen, das ist für mich auch eine ganz wichtige Form des Aktionismus und auch ganz wichtig für die Ausrichtung meiner eigenen Energie und Kraft in dieser Übergangszeit ist, immer wieder diese Ebene der Visionsarbeit innerlich zu eröffnen und zu sehen: «Kann ich den Kanal öffnen für Bilder einer neuen Kulturbildung?»

«Kann ich den Kanal öffnen für Bilder einer neuen Kulturbildung?»

Christoph Lang Super. Ja, das stimmt total hoffnungsvoll, was du da gerade erzählt hast. Toll. Schön, dass du das uns noch mitgeteilt hast. Ich denke, da liegt eine grosse Kraft drin. Wenn wir es schaffen könnten, wie es Dieter Duhm gesagt hat, in diese Matrix des Lebens aufzusteigen und sie mit unserer Bewusstheit und der Möglichkeit des Kontaktes wecken, dann ist ganz viel möglich. Und das ist eines wo ich denke, wenn man in so eine Ebene kommt, wo man eine gemeinsame geistige Verbundenheit spürt, dass dann viel, viel Kraft und viel Möglichkeit entsteht. Danke, dass du das uns mitgeteilt hast, dass das wirklich auch möglich ist so. Also herzlichen Dank. Toll. Ja, dann möchte ich mich ganz herzlich bedanken für das tolle Gespräch. Wir sind nicht an dem Essay hängen geblieben, das freut mich sehr. Das kann man nachlesen, das hast du uns auch in deutscher Sprache noch zur Verfügung gestellt, in englischer Sprache hast du es veröffentlicht. Das werden wir gerne weiterverbreiten und es ist toll, dass wir über das hinausgegangen sind und einen tollen Flow im Gespräch gehabt haben. Herzlichen Dank dafür.

Martin Winiecki Ja, vielen Dank.

Christoph Lang Ich bin inspiriert und berührt von dem, wie das Gespräch gelaufen ist. Und ja, wir gehen jetzt an die Arbeit und wollen dem grossen Raum bieten. Herzlichen Dank dir für die Zeit, die du uns geschenkt hast und den Menschen, die zuschauen, geschenkt hast.

Martin Winiecki  Ja, gerne.

Christoph Lang Ganz toll. Und ja, dann wünsche ich dir noch eine ganz gute Zeit, ich freue mich schon aufs nächste Gespräch. Mal schauen, was das für ein Thema haben wird. Und ja, hoffentlich ein Treffen bald wieder live. Es zieht mich schon lange mal dazu, euch in Portugal zu besuchen.

Martin Winiecki  Ja mal schauen, wenn das wieder geht. Aber hoffentlich bald, ja.

Christoph Lang  Ja, das wäre Klasse.

Martin Winiecki Dann vielen Dank für die Einladung und bis bald.

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Redaktionsleitung: Christoph Lang, Nadja Hillgruber

Redaktionelle Gestaltung und Umsetzung: Nadja Hillgruber

Bildnachweis und Text: Text  © Nature Flow, das digitale Fachblatt

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