Auf den Spuren von Wildnistieren

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Stell dir vor, während du schläfst, stibitzt ein unbekannter wilder Nachbar dein Vogelfutter. So erging es uns. Überrascht und neugierig legten wir uns mit einer Filmkamera auf die Lauer und wollten herausfinden, welcher Wildnisfreund so einen gesunden Appetit hatte. Oft leben wir mit Wildtieren Seite an Seite, jedoch nehmen wir sie kaum wahr. Denn sie sind wahre Meister darin, sich unbemerkt, nachts durch unsere Gärten zu schleichen. Angelockt durch unser Vogelfutter wollten wir herausfinden, wer nachts durch unseren Garten schleicht.

Der Marder schlängelte sich zum Futter
Der Marder schlängelte sich zum Futter

Als wir unser Foto- und Filmmaterial auswerteten, staunten wir sehr, wer uns nachts, während wir schliefen im Garten besuchte. Wir beobachteten ein bemerkenswertes Erlebnis, wie das Wildnistier, als wendiger Klettermeister sich anschlich und den Apfelbaum hochkletterte. Wie eine Schlange wand er sich um die Äste und nagte die Schnur durch. Er kletterte den Baum herunter, verschwand im Graben. Immer wieder schaute er sich vorsichtig um und frass das Futter mit der ganzen Schale.

Wie eine Schlange wand er sich um die Äste und nagte die Schnur durch…

Fasziniert beobachteten wir diese Szene. Mit den Finger auf der Maus zogen wir die Filmspur im Schnelldurchlauf weiter. Wir wollten wissen, ob unser scheuer Freund nochmals vorbeischaute. Auf einmal entdeckten wir im Film, dass kurze Zeit später, etwas grosses im Garten umhertrottete. Was wir sahen, konnten wir erst gar nicht glauben. Meister Isegrim lief in die Kamera. Er trottete zum Apfelbaum, wo die Futterschale hing. Schnupperte, schnüffelte und erkundete den Boden, bis er wieder gemächlich weglief. Absolut überrascht staunten wir, dass ein Dachs nachts durch unseren Garten spazierte.

Die Ereignisse der Nacht wurden lebhaft diskutiert. Es wurde gefachsimpelt, woher die Tiere kamen und wie sie in den Garten liefen. Ob der Dachs der Spur vom Marder folgte. Ob es auch tatsächlich ein Marder ist oder vielleicht doch ein Waschbär?

Wir sind gespannt, ob die Wildtiere nochmal vorbeikommen…

Einige Wildnistiere leben weit von uns entfernt, andere mitten unter uns, oft unbemerkt, so nahe, dass wir dieses Erlebnis mit anderen teilen möchten und auch fachkundigen Austausch suchten. Simon Hasler von der Naturschule woniya gab uns fachkundig Auskunft, dass Waschbären in der Schweiz wenig verbreitet sind. Ausserdem zeigte das helle Brustfell auf einem der Fotos, dass es ein Steinmarder war.

Video über die Wildnisfreunde im Garten

Inspiriert durch diese beeindruckenden Erlebnisse, wollten wir noch mehr zu Begegnungen mit Wildnistieren von Simon Hasler erfahren. Wir waren auch neugierig, wie es ihm dabei ergeht, wenn er Wildtieren begegnet.

Simon Haser, Geschäftsführung, Kurs- und Lagerleitung von der Naturschule woniya
Simon Haser, Geschäftsführung, Kurs- und Lagerleitung von der Naturschule woniya

Infothek Waldkinder: Lieber Simon, mit deiner fachlich kompetenten Unterstützung habe ich schnell erfahren, dass ein Steinmarder an unserem Vogelfutter interessiert war. Hattest du auch schon nächtlichen Besuch von Wildnisfreunden in deinem Garten?

Simon Hasler: Ja, das habe ich regelmässig. Wir wohnen am Wald- und Wiesenrand, viele Wildtiere kommen besonders während der Nacht auf Futtersuche. Im Winter sind regelmässig Hirsche zu sehen, manchmal bereits vor dem Eindunkeln oder noch am Morgen, wenn es bereits hell ist. Bevor ich mich schlafen lege, gehe ich immer noch kurz auf unseren Balkon und schaue in den Garten und über die grosse Wiese. Sehr häufig sehe ich dabei Hirsche oder Rehe. Den Garten selber haben wir eingezäunt, damit die Hirsche uns nicht die Obstbäume verbeissen. Füchse und Hasen sind ebenfalls regelmässig auf der Wiese, ihre Spuren sehe ich häufig. Diesen Winter habe ich einmal 2 Marder beobachtet, die gemeinsam in unserem Garten unterwegs waren.

…und was war deine faszinierendste Begegnung mit einem Wildnistier, als du du draussen in der Natur unterwegs warst?

Da gibt es viele, ich weiss fast nicht, welche ich wählen soll… diesen September war ich auf der Bündner Hochjagd und bin am zweiten Jagdtag früh am Morgen an einem Tobelrand gehockt. Als der Tag langsam erwachte und die Vögel aufwachten, war ich bereits ganz ruhig am Beobachten. Plötzlich hörte ich ein Fluggeräusch und spürte etwas auf meinem Kopf – ein kleiner Vogel hatte sich tatsächlich auf meinen Kopf gesetzt! Ich habe mich sehr gefreut, dass ich das erleben durfte!

Trittsiegel vom Marder im Sand, der um den Apfelbaum ausgelegt wurde
Trittsiegel vom Marder im Sand, der um den Apfelbaum ausgelegt wurde

Spuren lesen beginnt immer mit einer ersten Frage und dem Sammeln von Beweismaterial. Frage um Frage tastete ich mir heran und konnte feststellen, wie das Spurenlesen meine Wahrnehmung förderte. Weisst du genau, welche beim Menschen durch Neugier hochwertigen Beobachtungen dadurch gefördert werden?

Neugier ist die beste Quelle für das Lernen. Wenn Neugier und Begeisterung vorhanden sind, passiert alles andere praktisch von Alleine. Gehirnzentren werden aktiviert, es entsteht sozusagen ein sich selbst nährender Prozess. Die Wahrnehmung wird durch die Neugier bestimmt. Wenn ich unbedingt wissen will, wer mein Vogelfutter während der Nacht frisst, lenke ich meine Wahrnehmung darauf. Vielleicht sitze ich während der Nacht stundenlang auf dem Balkon, vielleicht installiere ich eine

Meine Weltsicht, mein Verhalten und meine Aufmerksamkeit verändern sich langsam…

Fotofalle, vielleicht suche ich Spuren oder präpariere den Boden so, dass ich diese einfacher erkenne. Durch meine gelenkte Aufmerksamkeit nehme ich neue Sachen wahr. Wenn ich dann einen Teil des Rätsels lösen kann, freue ich mich, ich bin begeistert. Meine Weltsicht, mein Verhalten und meine Aufmerksamkeit verändern sich langsam. Meine Aufmerksamkeit verändert sich weiter, ich interessiere mich plötzlich für die Lebensweise von Mardern, was sie denn sonst noch fressen oder für Waschbären, ob denn die bei mir in der Nachbarschaft vielleicht vorkommen. Ich lerne gleichzeitig auch, dass ich meine Frage durch meine Nachforschung beantworten kann, was mit fortwährenden ähnlichen Erfahrungen mein Selbstvertrauen stärkt.

Losung vom Marder, die im Sand um den Apfelbaum zu finden war
Losung vom Marder, die im Sand um den Apfelbaum zu finden war

Ein brennendes Verlangen in mir wollte wissen, wer der Kletterkünstler war. Warum meinst du, dass wir Menschen uns wieder mehr auf Spurensuche in der Natur machen sollten?

Ich erkenne, dass alles miteinander verbunden ist…

Spurenlesen bedeutet, einem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Zu fragen, wer die Spur hinterlassen hat, was das Tier gemacht hat, wann es unterwegs war, weshalb es hier war, wohin es weiterging, wie es sich gefühlt hat, usw. Mit dem Spurenlesen versetzte ich mich in das Tier oder auch in den Menschen hinein, bis ich mit ihm verbunden bin. Ich lerne die natürliche Umgebung kennen und schätzen. Ich setze mich deshalb auch für den Schutz von Tieren und der Natur allgemein ein. Ich erkenne, dass alles miteinander verbunden ist. Es bringt mir auch persönlich viel. Wenn ich mich in ein Tier hineinversetzen kann, kann ich dies auch mit Pflanzen oder mit Menschen. Dies ist im täglichen Leben für alle von uns eine sehr wichtige Fähigkeit.

Mit dem Spurenlesen lerne ich alles zu hinterfragen, einer Sache auf den Grund zu gehen…

Mit dem Spurenlesen lerne ich alles zu hinterfragen, einer Sache auf den Grund zu gehen. Diese Fähigkeit ermöglicht es mir, auch die gesellschaftlichen, politischen Entwicklungen kritisch zu hinterfragen oder Informationen durch Medien in einem neuen Kontext zu interpretieren.

Ich nehme an, du gehst mit den Kindern in deinen Wildnisgruppen auch auf Spurensuche. Wie machst du das den Kindern schmackhaft, dass die Neugier bei ihnen entfacht wird?

Das Ziel dabei ist, dass die Kinder selber ein Rätsel lösen können. Wenn plötzlich klar wird, dass die unscheinbaren Abdrücke am Boden bedeuten, dass da ein Hirsch oder ein Reh letzte Nacht durchgegangen ist, dann werden die Spuren lebendig, die Neugier ist entfacht. Wenn dann vielleicht noch ein Liegeplatz eines Rehs entdeckt wird, entsteht bereits eine Geschichte. Ich versuche, durch gute Fragen die Aufmerksamkeit auf bestimmte Inhalte zu lenken. Dies funktioniert in der Einzelbetreuung oder in einer kleinen Gruppe gut, in einer grossen Gruppe ist dies schwierig. Eine wichtige Grundlage, um etwas schmackhaft zu machen, ist die eigene Begeisterung, die bei Angeboten bewusst gezeigt werden kann. Nicht gespielt oder vorgetäuscht, doch bewusst gezeigt.

Die ersten Aufnahmen von dem Wildnisfreund
Die ersten Aufnahmen von dem Wildnisfreund

Fühlen wir ein Marder oder sich bewegen wie ein Dachs, dabei tauchen wir in ihre Welt ein. Wozu ist es hilfreich die Bewegung von einem Tier zu lernen? Was kann ich von den Lehrern Herr Marder und Herr Dachs lernen?

Wenn ich die Bewegung eines Tieres kenne, verstehe ich seine Gangart, ich kann dann schon viel aus einer Spur herauslesen. Wenn ich im Schnee Spuren sehe, sind die einzelnen Trittsiegel häufig nicht gut zu erkennen. Die Gangart jedoch schon. Wenn ich einen Diagonalgang sehe, kommt beispielsweise ein Marder oder ein Hase nicht in Frage. Ein Fuchs dagegen schon, denn dies ist seine beliebteste Gangart. Ein Reh oder ein Hirsch ebenfalls. Da kann ich dann meistens durch die Grösse oder Einsinktiefe weiter eingrenzen. Sich in ein Tier hineinversetzen ist wichtig, um Zusammenhänge zu verstehen. Verhalten macht immer Sinn. Ein Marder ist nicht aus Freude am umherhüpfen unterwegs, sondern weil er beispielsweise Nahrung sucht.

Der nachtaktive Dachs und Marder schleichten durch den Garten. Eingefangen mit der Fotofalle.
Der nachtaktive Dachs und Marder schleichten durch den Garten. Eingefangen mit der Fotofalle.

Als ich mich in den Marder hineinversetzte, um mir vorzustellen wie er sich die Futterschale stibitzt oder wie der Dachs unsere Treppen in den Garten emporsteigt, trainierte ich meine Vorstellungskraft. Was gibst du für Impulse an deine Kursteilnehmer weiter, um ihre Vorstellungskraft zu schulen, ohne dass sie es merken?

Die Vorstellungskraft wird mit unzähligen Inhalten geschult und tatsächlich merken das die Teilnehmenden nicht bewusst. Wir stellen mit der Technik des Glutbrennens beispielsweise einen Löffel her. Die Teilnehmenden spalten sich ein Stück Holz ab und brennen ihren Löffel. Aus einem dicken Stück Holz wird ein feiner Löffel. Das schult bereits die Vorstellungskraft, die Aufgabe lautet alles Holz wegzubrennen und –schnitzen, welches nicht zum Löffel gehört. Beim Biwakbau suchen sich die Teilnehmenden ihren Biwakplatz aus und

Beim Spurenlesen wird die Vorstellungskraft stark geschult…

müssen sich dabei das fertige Biwak vorstellen, wie es an einem bestimmten Ort aussehen würde. Das schöne bei diesen Aufgaben in der Natur ist die direkte Rückmeldung der Natur. Wenn mein Biwakplatz zu steil ist, rutsche ich in der Nacht ständig auf eine Seite und weiss am nächsten Morgen, was ich verbessern sollte. Meine Vorstellungskraft für einen geeigneten Biwakplatz hat sich damit bereits verbessert. Beim Spurenlesen wird die Vorstellungskraft stark geschult. Wir beschäftigen uns im Kursmodul Fährtenlesen I stark mit Gangarten. Wenn eine Spur mit zahlreichen Trittsiegeln genauer studiert wird, stellt sich ständig die Frage, wie sich das Tier da bewegt haben könnte. Linker Vorderfuss, rechter Vorderfuss, linker Hinterfuss, rechter Hinterfuss, Diagonalgang, Galopp oder Sprung? Hase oder ev. doch Fuchs oder sogar Marder? Fragen über Fragen, die alle die Vorstellungskraft schulen.

Abschliessend noch zur Kunst des Fragenstellens bei Kindern. Ob Lehrer, Leiterin oder Mentor es ist mir wichtig die Flamme ihrer Wissbegierde zu schüren. Wie lehrst du sie Hindernisse zu bewältigen, weiter zu machen, wo sie aufgeben würden?

Das ist eine sehr wichtige Frage mit vielen Facetten. Ganz wichtig ist, dass ich Kinder nicht mit Wissen überhäufe, wie es in der heutigen Zeit häufig passiert. Mein Ziel als Mentor ist, die Neugier, die Begeisterung zu wecken. Wenn ich das schaffe, brennt die Flamme der Wissbegierde. Ich muss dann mit fachlichen Informationen zurückhaltend sein, denn zu viel davon lässt die Flamme erlöschen. Ich stelle am besten gute Fragen, die die Neugier anregen. Wissen darf ich nur vermitteln, wenn dies gewünscht ist und nur so lange, wie es gewünscht ist. Allgemein vertraue ich darauf, dass das Wissen von Alleine kommt, wenn die Neugier vorhanden ist. Wir haben heute so viele Möglichkeiten, uns zu informieren, Bücher, Internet, dass das Wissen häufig verfügbar ist. Da muss ich mir keine Sorgen darum machen.

Mein Ziel als Mentor ist, die Neugier, die Begeisterung zu wecken. Wenn ich das schaffe, brennt die Flamme der Wissbegierde. Ich muss dann mit fachlichen Informationen zurückhaltend sein, denn zu viel davon lässt die Flamme erlöschen.

Wenn etwas zu schwierig ist, kann es sein, dass ein Kind da aufgibt. Mein 7 jähriger Sohn hat beispielsweise das Feuerbohren geübt, konnte die Technik gut, doch für eine Glut hat es noch nicht gereicht. Nach einigen Versuchen voller Begeisterung hat er sein Feuerbohrset zur Seite gelegt und nicht weiter geübt. Ich habe ihm gesagt, dass er es schaffen würde, wenn er weiter üben würde. Doch dies hat nicht gereicht, dass er weiter geübt hätte. Dies muss ich akzeptieren und darf ihn auf keinen Fall pushen. Einige Wochen später habe ich ihm die Technik des Funkenschlagens mit Flint und Stahl und mit Flint und Markasit gezeigt. Ich selber war begeistert von der Technik. Mein Sohn hat sich darin auch versucht und zu meinem Erstaunen hat er es auf Anhieb sogar mit dem Flint und dem Markasit geschafft. Er war begeistert und will seither immer wieder das Feuer in unserem Stubenofen auf diese Weise anzünden. Teilweise muss er 10 bis 15 Minuten üben, bis es gelingt, doch er will es schaffen, weiss dass er es kann und so schlägt er, bis es klappt.

Ich darf die Lernprozesse nur versuchen zu beeinflussen, indem ich gute Fragen stelle, als Vorbild meine Begeisterung für bestimmte Inhalte zeige oder unterstütze, wenn dies gewünscht ist. Ich kann auch Geschichten erzählen, welche die Begeisterung für bestimmte Inhalte wecken können. Doch am Ende sollte ich ein Kind auf keinen Fall drängen, etwas Bestimmtes zu lernen oder zu üben. Und schon gar nicht dafür belohnen.

Redaktionsleitung: Christoph Lang, Nadja Hillgruber

Redaktionelle Gestaltung und Umsetzung: Nadja Hillgruber, www.infothek-waldkinder.org

Bildnachweis: Fotografie und Film © Feuervogel/ Infothek Waldkinder

Das digitale Fachblatt ist in seinem 9. Erscheinungsjahr

Die Infothek Waldkinder – Informationsplattform Naturpädagogik ist ein Projekt der Feuervogel Genossenschaft für Naturpädagogik
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