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In Südkorea sind Waldkindergärten, im Gegensatz zu Deutschland, noch nicht öffentlich anerkannt. Zu fremd sind die Ideen der Waldpädagogik für das koreanische Bildungsministerium; bedenkt man doch, dass Kinder in Südkorea schon sehr früh an „schulische Bildung“ herangeführt werden und bereits im Alter von 4 Jahren in „Hauskindergärten“ schreiben lernen.

Petra Jäger freut sich sehr, dass sich Waldkindergärten in Südkorea auch ohne staatliche Unterstützung etablieren konnten und sie mit der Weitergabe ihrer Erfahrungen zu einem Teil zu der Entwicklung beitragen konnte. Die beiden Kindergärten Marienhölzung in Flensburg/Deutschland und der “Traumplatz der Waldkinder” in Incheon/Südkorea verbindet eine Freundschaft, die in einem schriftlichen Vertrag festgelegt wurde. Aufbewahrt wird dieses Schriftstück in einer blauen Samthülle mit koreanischen und deutschen Schriftzeichen. Was auf den ersten Blick steif aussieht, entpuppte sich als freundschaftlicher und kollegialer Kontakt, der bereits seit 12 Jahren besteht und, soweit möglich, mit gegenseitigen Gastaufenthalten zum praktischen Erfahrungsaustausch ausgestaltet wird.

Infothek Waldkinder: Liebe Petra, was war der Grund für deine Reise nach Südkorea im Oktober 2018?
Petra Jäger: Diesmal gab es zwei Einladungen aus Südkorea, einmal hat die Universität Chung Kang College of Cultural Industries zu einem wunderbaren Seminar zum Thema „Natur, Freispiel und Gemeinschaft“ eingeladen. Die zweite Veranstaltung fand an der Inha Universität statt, an der Prof. Dr. Kim selbst studiert hat. Prof. Dr. Kim und Prof. Dr. Lee sind ja schon viele Jahre mit uns befreundet und wir pflegen einen intensiven Kontakt und Austausch mit ihnen.
Wie lange arbeitest du schon mit Prof. Lee und seinem Team zusammen?
Im Jahre 2000 besuchte uns Prof. Dr. Lee mit interessierten Pädagogen im Waldkindergarten Flensburg zum ersten Mal, seit dem besucht er uns regelmäßig. Frau Prof. Dr. Kim lernte ich einige Jahre später bei einem Besuch in Südkorea kennen. Dort habe ich auch ihren Waldkindergarten begleiten dürfen. Prof. Dr. Lee und Prof. Dr. Kim schrieben beide Bücher über Waldkindergärten. Wir hatten Zeit gemeinsam in ihre Bücher zu schauen und wir erfreuten uns über Bilder aus meiner Heimat. In liebevoller Geduld übersetzten sie mir einige Absätze ihrer tollen Schriftzeichen ins Deutsche.

Du warst schon öfter in Südkorea, was schätzt du besonders an deinem letzten Aufenthalt im Oktober?
Ich durfte an Universitätsseminaren teilnehmen und mit sehr vielen interessierten Pädagogen in Kontakt treten, das ist an sich ja schon ein Geschenk und gibt mir ein gutes Gefühl. Diesmal habe ich für meinen ersten Vortrag mit Frau Dr. Min und ihrem Team zusammengearbeitet. Dieser Kontakt war neu und von Herrn Prof. Dr. Lee vermittelt worden. Das College hat durch ihr zweitägiges Fortbildungsprogramm sehr viele junge Studenten und Pädagogen angesprochen, die Dinge in der Natur ausprobieren wollten, so kam es am ersten Tag meines Workshops dazu, dass wir bei strömendem Regen, die Koreaner bestückt mit Regenschirmen, durch die hügelige Natur gewandert sind und Naturerfahrungen sammeln konnten. Durch den Dauerregen wurden sie mit einer gehörigen Portion Wasser vermischt, die Teilnehmer waren sehr tapfer.
Charlotte Lucas aus England war auch in Südkorea mit ihrem Vortrag «Mindfulness and yoga in forest». Was konntest du von ihr lernen?
Ach, Charlotte war toll, sie hat eine so natürliche Energie und konnte ebenso die Teilnehmer aus Südkorea für ihre Idee begeistern. Bei ihrem Vortrag über den Waldkindergarten in England hat sie die Menschen mit viel Herz und Verstand angesprochen, sie hat sogar bei der Eröffnung ihrer Rede einen Tanz aufgeführt und konnte die Koreaner zumindest dazu bewegen, ihre Fußspitzen mitwippen zu lassen. Ihr Wunsch wäre gewesen, dass alle aufstehen und mittanzen. Sie hat für viele lachende Gesichter gesorgt. Ihre Botschaft hat die Gäste erreicht.
Der Waldkindergarten von Prof. Dr. Lee ist in einem Park. Wie viel Verbundenheit zur Natur hast du auf dem Weg dorthin von den Mitarbeitenden erleben können?
Es war wieder sehr berührend, auf dem Weg zum Waldplatz vom Waldkindergarten wurden wir noch von dem technischen Leiter des Parks in einem kleinen offenen E-Transporter durch den Park gefahren und wir hatten Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Präsidenten des Parks, bei wunderbarem grünen Tee. Mit viel Respekt präsentierte er uns den Park. Der technische Leiter arbeitet ebenso wie ich seit 25 Jahren in seinem Berufsfeld und man spürt, dass er mit Leidenschaft dabei ist. Er ist stolz auf seinen Park und zeigte uns sogar sein neuestes Aufgabenfeld, eine Babyaufzuchtstation für Glühwürmchen. Außerdem führte er uns noch zum Lieblingsplatz des Präsidenten.
Von diesem kleinen Parkausflug ging es weiter zum Waldkindergarten “Traumplatz der Waldkinder” mit dem Motto «Im Wald soll Kinderlachen blühen» von Prof. Dr. Lee. Hast du noch andere Waldgruppen im Park angetroffen?

Auf unserem Weg zum Waldkindergarten trafen wir viele Kindergartengruppen, die die Angebote des Parks, sich stundenweise oder auch tageweise mit Regelkindergartengruppen in der Natur aufzuhalten, gerne annahmen. Man konnte die einzelnen Gruppen gut auseinanderhalten, jedes Kind trug eine Uniform, bestehend aus dem T-Shirt und der Hose seiner Einrichtung, und in einer gut sortierten Reihe hörten sie der Aufsichtsperson zu, die erklärte, was man alles

in der Natur entdecken kann. Ihren Aufenthalt im Wald füllten sie mit verschiedenen Angeboten und Projekten. Bei sich hatten sie einen großen Bollerwagen voller Material, das an sich nicht im Wald zu finden ist. Durch einen zugewachsenen Waldschleichweg ging es weiter zum Waldkindergarten von Prof. Dr. Lee und dann tat sich für mich eine Umgebung auf, die mir schon aus Südkorea bekannt ist und die Nähe von unserem Konzept und unserer Idee des Waldkindergartens zur südkoreanischen ist offensichtlich. Die gleichen Rucksäcke hingen an einem selbstgebauten Ständer aus Ästen, die Kinder tobten schön

waldig „erdig“ in ihrer tollen Outdoor-Kleidung über den Platz und hielten nach Abenteuern Ausschau. Die Erzieher waren liebevoll zurückhaltend, beobachtend und begleitend und hatten die Gruppe im Blick. Für mich war es ein Gefühl des „Nachhausekommens“. Tränen liefen mir über die Wangen, Herr Prof. Dr. Lee und Frau Prof. Dr. Kim waren zuerst besorgt, aber dann erinnerten sie sich: «Ach ja, Petra ist berührt von unseren Gemeinsamkeiten und davon, dass dieses Konzept richtig verstanden wurde und sich bei uns verbreitet hat.»
Foto-Slideshow aus dem Waldkindergarten
Prof. Lee arbeitet sehr engagiert für die Waldkindergärten in Südkorea. Was konnte er in den letzten 20 Jahren bereits alles erreichen?
Prof Dr. Lee ist ein sehr feinfühliger und nachdenklicher Mensch, er stellt Fragen, die ihm wirklich wichtig sind, verbringt aber auch viel Zeit mit Beobachtungen und mit Innehalten, das konnte ich von ihm lernen. Dieser wunderbare Mensch hat durch sein Verständnis und seine Beharrlichkeit, die Bewegung der Waldkindergarten in Südkorea verbreiten können. Mit Frau Prof. Dr. Kim an seiner Seite bildet er ein perfektes Team, das ihrerseits Waldpädagogen ausbildet und sich parallel im Waldkindergarten immer wieder neue Energie und Impulse

holt, um die Begeisterung lebendig zu halten. Herr Prof. Dr. Lee ist ja eigentlich im letzten Sommer in Rente gegangen, aber weit gefehlt, in seinem Büro im Fortbildungsinstitut und im Waldkindergarten findet man viele, viele Bücher, Fotos und neue Projekte zur Idee der naturnahen Bildung. Er hat in seinem Büro ein Bild von seinem letzten Besuch bei uns im vergangenen Juni, es zeigt 25 lachende Pädagogen-Gesichter, aufgenommen wurde es, als wir uns gemeinsam einen Strandkindergarten anschauten. Es war der Wald- und Strandkindergarten Geltinger Birk.
Welche Bedeutung hat die Auszeichnung, die er bekommen hat für die Entwicklung der Waldkindergärten in Südkorea?

Er wurde für seine Verdienste gewürdigt, weil er sich seit über 10 Jahren für die Einführung der Kindererziehung im Wald und um die Einführung der Waldleitungskurse für die Kinder, sowie der Aktivierung der Walderziehung für die Kinder in Korea einsetzte. Zunächst einmal ist es eine Bestätigung und Motivation für ihn, weiter zu machen. Durch die Auszeichnung werden andere Südkoreaner aufmerksam, sie zeigt schließlich auch einen

großen Respekt und Anerkennung für seine Person. Das bleibt nicht unbemerkt und gibt der Bewegung der Waldkindergärten nochmals neuen Schwung. Mit seiner Organisation KFEA (KOREA FOREST EDUCATION ASSCIATION) hat er seit 2013 über 400 Waldpädagogen ausgebildet. Den Präsidentenpreis erhielt Herr Prof. Lee am 18.Oktober dieses Jahrs zum 17. Jubiläum des Waldtages.
Wie erlebst du die Entwicklung der letzten Jahre in Südkorea als Aussenstehende?
Ich würde sagen, die Entwicklung nimmt Fahrt auf und bestehende Naturprojekte werden gefestigt und erhalten mehr Legitimität. Auf der Konferenz vom Bundesverband von Natur- und Waldkindergärten in Berlin hat Frau Dr. Chang über die Verbreitung der Idee in Korea berichtet. Auch sie hat viel in Bewegung gesetzt. Genauso, wie viele andere in ihrem Land setzt sie sich für die Verbreitung von Waldprojekten ein.
Wie empfindest du das persönlich?
Ich finde, es ist ein guter Gegenpol zu den Problemen von Südkorea. Es besteht dort ein hoher Leistungsdruck und dem Streben danach „immer besser als anderen zu sein“ geben die Kinder nach, bis sie den Anforderungen nicht mehr standhalten können und erschöpft am Boden liegen. Südkorea ist damit nicht alleine, wie uns allen bekannt ist. Selbst in Deutschland, wo es über 2000 Waldkindergärten gibt, spürt man permanent Konkurrenzdruck. Gemeinsam können wir es schaffen, diesen Blick und das Streben aufzuweichen, um in Gemeinschaft zu leben und unsere Stärken zusammen einzusetzen, statt für eine Konsum- und Leistungsgesellschaft zur Verfügung stehen. Damit hätten wir einen sinnvollen Weg erreicht, zu dem auch unser wichtigster Teil gehört, die Naturverbundenheit und das respektvolle und verantwortungsvolle Leben in und mit ihr.

Frau Prof. Dr. Kim wird mit einer Gruppe aus Südkorea als Botschafter zu unserer Konferenz in Zürich anreisen. Worauf freust du dich besonders, wenn sie kommen?
Ganz besonders auf unsere erste Umarmung, die oft den Ausdruck hat, schön euch wieder zu sehen, zu fühlen und emotionale Gemeinsamkeit zu spüren. Ich freue mich auch auf die gemeinsamen Naturerlebnisse, die diese Konferenz uns allen bieten kann. Sie trägt dazu bei, für jeden von uns, egal aus welcher Himmelsrichtung er kommt, die Natur als Heimat zu spüren, ohne Grenzen und ohne Zäune. Gemeinsam können wir voller Überzeugung an unseren Wegen festhalten und uns bestätigt fühlen. Ich freue mich sehr auf die Konferenz im Mai.

Redaktionsleitung: Christoph Lang, Nadja Hillgruber
Redaktionelle Gestaltung und Umsetzung: Nadja Hillgruber, www.infothek-waldkinder.org
Bildnachweis: Fotografie © Petra Jäger und Organisation KFEA
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